1967 veröffentlichten die Beatles eines der einflussreichsten Alben der Musikgeschichte: «Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band». Der Song «When I’m Sixty-Four» wurde zum Klassiker. Was wie ein Liebeslied daherkommt, ist in Wirklichkeit gesungene Angst vor dem Alter: Es war das Gefühl einer ganzen Generation.

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Bahnbrechendes Konzeptalbum: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967. (iStock)

Paul McCartney war erst 24 Jahre alt, als das Lied 1967 aufgenommen wurde. Er wollte es unbedingt auf dem Album haben, so heisst es, weil er es für seinen Vater James geschrieben hatte. 64 Jahre alt war dieser geworden und stand kurz vor der Pensionierung. In fernen 40 Jahren würde es auch für Paul so weit sein.

«When I get older, losing my hair, many years from now», sang Paul McCartney – «wenn ich, in vielen Jahren, älter werde und mir die Haare ausfallen». Um seine Stimme noch jünger erscheinen zu lassen, liess er sie beim Abmischen um einen Halbton erhöhen.

Oberflächlich gehört, kommt «When I’m Sixty-Four» als Liebeslied daher. Mit Klarinetten und Glockenspiel versüsst, zeichnet es scheinbar ein idyllisches Bild des Alters; mit ewig währender Liebe, unbeschwerten Ferien im Sommerhaus auf der Isle of Wight und den Enkeln Vera, Chuck und Dave auf den Knien.

Für viele Babyboomer bedeutet 64 nicht mehr das nahende Ende, sondern einen Neuanfang.

Wohlklingend verpackte Angst

Was für ein grandioses Missverständnis, was für eine subversive Ironie der Beatles. Wer nämlich genauer auf den Text achtet, hört vor allem eines: gesungene Angst.

  • Angst vor körperlichem Zerfall: «yours sincerely, wasting away» – mit besten Grüssen sieche ich dahin.
  • Angst vor Abhängigkeit: «will you still feed me» – wirst du mich noch füttern.
  • Angst vor Eintönigkeit: «doing the garden, digging the weeds, who could ask for more» – den Garten bestellen, Unkraut jäten, wer könnte mehr verlangen.
  • Und Angst vor drohender Armut im Alter: «we shall scrimp and save» – wir werden es uns vom Mund absparen. 

When I'm Sixty-Four

Die Beatles trafen mit «When I’m Sixty-Four» den Nerv der Zeit. Sie drückten damit das Gefühl einer ganzen Generation aus. Unzählige fremdsprachige Cover-Versionen entstanden. «Wenn ich 64 bin» sang Udo Lindenberg in Deutschland. Der französische Chansonnier Marcel Amont machte «dans quarante-cinq ans» daraus. Am hintergründigsten aber fing der Schweizer Liedermacher und Kabarettist Franz Hohler die Ironie der Beatles auf. In «Weni mol alt bi» (wenn ich mal alt bin) – «hoffe sgaht no lang» (ich hoffe, das geht noch lange) – singt er die Zeile: «Fangts der a gruuse, wenn i wot schmuse.» (Ekelt es dich an, wenn ich mit dir zärtlich sein will).

Kein Zweifel: Mit 64 galt man vor fünfzig Jahren als uralt. Und alt, arm und abhängig sein war etwa das Letzte, was man 1967 als junger Mensch wollte.

Das war der Zeitgeist. «I hope I die before I get old» – «hoffentlich sterbe ich, bevor ich alt werde» sangen The Who schon zwei Jahre zuvor in My Generation. «Trau keinem über dreissig» lautete der so radikale wie schlichte Slogan der Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre. Und Mick Jagger von den Rolling Stones meinte damals in einem Interview, er wolle eher tot sein, als mit 45 noch Satisfaction zu singen: «I'd rather be dead than singing 'Satisfaction' when I'm 45.»

Das renommierte «Journal of Advanced Nursing» veröffentlichte letztes Jahr eine Studie darüber, wie «Alter» in der Popmusik dargestellt wird. Die Forscher nahmen den Beatles-Song als wichtiges Beispiel und zogen dieses Fazit: Alter wird vor allem mit «peinlichem physischem Verfall» verbunden und als «unattraktiv» und «unsympathisch» hingestellt.

Alter neu denken

Natürlich, einiges war vor 50 Jahren anders als heute: Mit 64 stand man schon im Herbst des Lebens. Die Lebenserwartung in England, der Heimat von Paul McCartney, betrug damals 72 Jahre. Seither ist sie in den meisten westeuropäischen Ländern um über zehn Jahre gestiegen – und steigt jede Dekade um weitere zwei bis drei Jahre an.

Heute dauert die Lebensphase, in der wir uns «in der Mitte des Lebens» fühlen, lange über die Pensionierung hinaus. Das gilt ganz besonders für die Schweizerinnen und Schweizer, die sich in einer Umfrage erst ab 79 Jahren als «alt» bezeichneten.

Für die meisten Babyboomer, die zusammen mit den Liedern der Beatles und der Rolling Stones älter als jede Generation vor ihr werden, bedeutet «64» nicht mehr das nahende Ende, sondern oft einen Neuanfang. Das zeigt auch die Statistik:

Das hat auch grosse Auswirkungen auf die Bevölkerungszusammensetzung. Laut Schätzungen der UNO ist heute fast jeder sechste Europäer über 65 Jahre alt. Bis 2035 wird es jeder vierte sein. Dieser epochale demografische Wandel betrifft natürlich alle unsere Lebensbereiche: «Alter» muss neu gedacht werden. Es ist die sanfte Ironie der Geschichte, dass uns das ausgerechnet die alterskritischen Jugendidole von damals vorleben.

The Who, die nie alt werden wollten, sind auf einer ausgedehnten Tour zu ihrem 50-jährigen Bandjubiläum und setzen sich dabei gegen Prostatakrebs ein.

Die Rolling Stones haben eben ihr 23. Studioalbum herausgegeben. Mick Jagger, heute 74, springt auf der Bühne immer noch mit sichtlichem Spass zu Satisfaction hin und her – wer weiss, vielleicht sogar befriedigter denn je.

Und Paul McCartney, auch er schon zehn Jahre älter als 64, geht kommenden April auf eine Tournee in Japan – immer noch mit fast vollem, wenn auch gefärbtem, Haar.

Vielleicht müsste Sir Paul das Lied heute «When I’m 84» nennen.

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Sir Paul McCartney bei einem Auftritt in Montevideo, Uruguay, 2014 (Bild:  Jimmy Baikovicius, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons).

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