Da immer mehr Menschen über das Rentenalter hinaus arbeiten, sind die Unternehmen in der Pflicht, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das allen Generationen gerecht wird. Die Ansichten über den Mehrwert älterer Arbeitskräfte gehen innerhalb von Europa stark auseinander. Nötig sind mehr Initiativen zur Förderung guter Arbeitsbeziehungen zwischen den Generationen, damit alle Unternehmen von einer gemischten Belegschaft profitieren können.

Das Arbeitsleben steht heute im Mittelpunkt eines tiefgreifenden demografischen Wandels. Die Entscheidung zahlreicher Menschen, über das traditionelle Rentenalter hinaus zu arbeiten, verändert das Verhältnis zwischen jüngeren und älteren Arbeitskräften, zumal sich die Arbeitswelt durch den digitalen Fortschritt ständig verändert. Viele Unternehmen sind daher heute mit der Frage konfrontiert, wie sich ein integratives Umfeld schaffen lässt, das Mitarbeitenden jeden Alters gerecht wird.

Den Schalter umlegen

Die EU-Strategie Europe 2020, ein Wachstums- und Beschäftigungsprogramm für das laufende Jahrzehnt, zeigt, dass die Beschäftigungsquote bestimmter Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Senioren dringend steigen muss, um den absehbaren Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) auszugleichen. Dieser Beschäftigungszuwachs ist eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Rentensysteme und den allgemeinen Anstieg des Wohlstands. Zum Glück hat diese Veränderung bereits begonnen. Nach Angaben von Eurostat, dem statistischen Amt der EU, haben die Beschäftigungszahlen für die Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen – zwischen 2002 und 2015 um 14,9 Prozentpunkte. Für Staat und Wirtschaft drängt sich daher die Frage auf, wie Unternehmen noch mehr ältere Arbeitskräfte dafür gewinnen können, im Rentenalter weiterzuarbeiten, und welche Änderungen am Arbeitsplatz nötig sind, damit dies gelingt.

Ältere Mitarbeitende haben viel Erfahrung, kennen das Unternehmen gut und sind sehr qualitätsbewusst, zuverlässig und loyal.

Die Vordenker

Einige Unternehmen wie BMW tun bereits einiges, um ihre Mitarbeiterfreundlichkeit zu erhöhen. Montagearbeiter bei BMW, die Autoteile in ungünstigen Winkeln einbauen und dazu lange stehen müssen, können jetzt beispielsweise eine entspannte Sitzposition einnehmen, weil ein Exoskelett namens «Chairless Chair» die unteren Körperpartien stützt. Diese Technik wird zurzeit an den Montagebändern des Unternehmens in München und anderen Standorten eingeführt.

Rudolf Reichenauer, Leiter Arbeitsumfeld und Gesundheit des Unternehmens, erklärt: «Für den Erfolg von BMW ist es zentral, dass wir älteren Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, länger zu arbeiten. Sie haben viel Erfahrung, kennen das Unternehmen gut und sind sehr qualitätsbewusst, zuverlässig und loyal.»

Judith Renevey, Fachverantwortliche Diversity bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), stimmt dieser Ansicht zu. «Ältere Arbeitskräfte kennen sich auch mit traditionellen Technologien aus, die bei uns immer noch im Einsatz sind, aber bei jüngeren Mitarbeitenden gänzlich unbekannt sind», fügt sie hinzu.

Wer nur junge Leute einstellt, kann langfristig Probleme bekommen, wie die BMW-Werke in Dingolfing und Regensburg zeigen. Dort werden die in den 1970er und 1980er Jahren grossflächig eingestellten Mitarbeitenden alle gemeinsam alt. «Das erschwert die Auffrischung des Personals», sagt Reichenauer. Der Anteil der BMW-Mitarbeitenden über 55 dürfte bis 2025 von heute 12% auf 23% steigen. Bei den SBB erhöhte sich der Anteil der über 50-Jährigen zwischen 2007 und 2015 von 29% auf 39%.

Arbeiten im Einklang

Caroline Young, Gründungspräsidentin der Pariser Unternehmensberatung Experconnect, versucht gemeinsam mit Unternehmen, Menschen nach der Pensionierung in Teilzeit an den Arbeitsplatz zurückzuholen. Sie hat festgestellt, dass man sich der Folgen der demografischen Entwicklung für die Arbeitskräfte nirgendwo in Europa so bewusst ist wie in Deutschland. Ihre Firma beschäftigt sich mit der Frage, wie das Wissen zwischen den Generationen weitergegeben werden kann. «In Deutschland wird viel stärker anerkannt, dass es schwierig ist, neue Mitarbeitende zu finden und auszubilden, und dass es daher sinnvoll ist, die Leute zu behalten, vor allem, wenn sie über strategische Kenntnisse oder technische und wissenschaftliche Fähigkeiten verfügen», sagt sie.

Caroline Young
Was wir beobachtet haben ist: Wenn man sich um die Mitarbeitenden möglichst lang und umfassend kümmert, zeigt das den Jüngeren, dass man sich später auch um sie kümmern wird.

Allerdings sei dies nicht immer der Fall. Nach Youngs Worten muss in anderen Ländern wie Frankreich und der Schweiz deutlich mehr getan werden, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, ältere Arbeitskräfte zu beschäftigen. Viele Unternehmen seien der Ansicht, wenn sie ältere Mitarbeitende behielten, könnten die jüngeren denken, ihnen bleibe womöglich der Aufstieg versperrt, weil die älteren zu lang die leitenden Positionen besetzten. Doch nach Youngs Erfahrung ist das Gegenteil der Fall. «Was wir beobachtet haben ist: Wenn man sich um die Mitarbeitenden möglichst lang und umfassend kümmert, zeigt das den Jüngeren, dass man sich später auch um sie kümmern wird. Das erleichtert den Rekrutierungsprozess enorm»,  erklärt sie. 

Die richtige Mischung aus Jung und Alt

Eine weitere Möglichkeit, ältere Menschen zum Weiterarbeiten zu bewegen, ist das sogenannte «Reverse Mentoring». Dabei unterstützen jüngere Mitarbeitende die älteren Kollegen in Bereichen wie Social Networking, Internet und digitale Transformation. Marc Raynaud, Associate Director der Pariser Unternehmensberatung Intergénérationnel, bestätigt: «Reverse Mentoring hilft, ältere Menschen auf das Digitalzeitalter vorzubereiten.» Selbst 16-jährige Praktikanten könnten einen wertvollen Beitrag leisten, wenn Ältere ihnen zuhörten und sähen, wie sie arbeiten.

Judith Renevey
Eine Mischung aus älteren und jüngeren Mitarbeitenden fördert die Innovation und hilft, den demografischen Wandel der Gesellschaft zu bewältigen.

BMW wiederum setzt auf generationenübergreifende Teams, da jede Altersgruppe andere Stärken und Schwächen habe. Jüngere Mitarbeitende seien vielleicht schneller, machten dafür aber mehr Fehler, meint Reichenauer. «Ältere nutzen eher ihre Erfahrung, um Probleme zu lösen. Hier gibt es kein Besser oder Schlechter, man braucht beides.» BMW hat bei Tests festgestellt, dass die Produktivität von älteren Arbeitskräften an ergonomisch optimierten Montagebändern der von Kollegen entspricht, die acht Jahre jünger sind. Und dabei sei die Qualität höher.

Auch die SBB versuchen, generationenübergreifende Teams zu bilden. «Eine Mischung aus älteren und jüngeren Mitarbeitenden fördert die Innovation und hilft, den demografischen Wandel der Gesellschaft zu bewältigen»,  meint Renevey. Entscheidend seien das Know-how und das persönliche Potential, nicht das Alter. «Wir versuchen, physische Belastungen unserer Mitarbeitenden zu verhindern, und passen die Arbeitsbedingungen altersgerecht an.»

Die Zukunft hat schon begonnen

Doch Unternehmen sollten ihre Arbeitsumgebung nicht nur an älteren Menschen ausrichten, sondern auch versuchen, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Beschäftigten gesund altern können. Nach Auffassung von Jeanne Meister, Gründungspartnerin der Personalberatung Future Workplace, müssen Arbeitgeber die demografische Struktur der bestehenden und der künftigen Belegschaft einschätzen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Anforderungen jede Generation an ihren Arbeitsplatz stellt. Unternehmensbefragungen zur Interaktion zwischen den Generationen seien „eine kostengünstige Möglichkeit, Aufschlüsse über Generationenfragen im Berufsleben zu gewinnen“, erklärt sie. Es bleibt abzuwarten, ob Unternehmen diesen zukunftsorientierten Ansatz aufnehmen und sich der Frage stellen, wie sich eine künftige Arbeitsumgebung für alle am besten realisieren lässt.

Geschrieben von

Logo EIU
Logo EIU

Das könnte Sie auch interessieren

Archiv

«Unternehmen brauchen Mitarbeitende verschiedener Generationen»

Mehr lesen

Archiv

Werden wir alle selbständig?

Mehr lesen

Wissen

Wenn Frauen weniger verdienen, hat das im Alter Konsequenzen

Mehr lesen