Geraten junge Menschen in eine Schuldenspirale, kommen sie nur schwer wieder heraus. Eine wirksame Prävention ist der Jugendlohn. Claudia Meier Magistretti von der Hochschule Luzern zeigt in ihrer Studie, dass dieser die Selbstverantwortung und die Finanzkompetenz von Jugendlichen fördert.

Onlineshopping, längere Ladenöffnungszeiten, Leasing- und Kreditangebote ­– noch nie war Konsum so einfach. Treiben diese Verlockungen junge Menschen in Europa in die Verschuldung? 
Für eine «Generation Minus» oder «Generation Pump», wie gerne geschrieben wird, gibt es noch keine Anzeichen. Die Verschuldung und Überschuldung der 18- bis 25-Jährigen ist nicht grösser als jene der 30- bis 50-Jährigen. Fakt ist aber: In allen Ländern gibt es ein signifikantes Ausmass an Jugendverschuldung. Und vor allem: Die Situation von jungen Menschen mit Schulden ist besonders dramatisch.

Wieso?
Wer sich früh verschuldet, gerät leicht in eine Schuldenspirale. Diese manifestiert sich häufig mit dem Auszug aus dem Elternhaus. Ist der Überblick über ausstehende Rechnungen, Mahnungen und Betreibungen erst einmal verloren, schnellen die Ausstände rasch in bedrohliche Höhen. Wer jung verschuldet ist, kann eine verpasste Erstausbildung oder eine geplante Weiterbildung nicht finanzieren, verliert die Kreditwürdigkeit und kann auch keine Familie ernähren. Kurz: Die Zukunft ist verbaut.

Ist die Verschuldung eine Folge mangelnder Finanzkompetenz?
Nein. Wer den Zinsenzins berechnen kann, ist nicht automatisch vor Kaufsucht geschützt. Das Problem ist nicht primär mangelndes Wissen, sondern materialistische Werthaltungen. Psychologische Aspekte spielen eine entscheidende Rolle.

Auf welche Aspekte spielen Sie an?
Zu den Risikofaktoren für Verschuldung gehören ein mangelndes Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und eine hohe individuelle Beeinflussbarkeit, aber auch eine mangelnde Impulskontrolle.

Wie kann man da gegensteuern?
Es ist wichtig, Geld zu enttabuisieren und den Kindern früh eine altersgerechte Verantwortung für die Finanzen zu übertragen. Auf diesen Grundlagen basiert auch der Jugendlohn – ein geeignetes Erziehungsmodell, das in der Schweiz entwickelt wurde (siehe Box).

Worin unterscheidet sich dieser Jugendlohn vom Taschengeld?
Es werden Verpflichtungen damit verknüpft. Das Modell sieht vor, dass die Jugendlichen ab zwölf Jahren je nach Alter zwischen 100 und 300 Franken pro Monat von ihren Eltern bekommen. Sie sollen diesen Betrag selber verwalten und damit die Kosten für vereinbarte Verpflichtungen wie Kleider, Schuhe, Handykosten und Coiffeur decken. Das restliche Geld können sie als Taschengeld nutzen. Wie viel sie für was einsetzen, können die Jugendlichen selber entscheiden.

Müssen sie Rechenschaft abliefern über ihre Ausgaben?
Das ist im Modell nicht vorgesehen, aber die Eltern handhaben das unterschiedlich. Die einen verzichten ganz darauf, andere verlangen in den ersten Monaten eine Aufstellung der Ausgaben, um zu sehen, wohin das Geld fliesst. Einige geben die Kontrolle nie ganz ab. Das ist o. k., denn Jugendliche sind sehr unterschiedlich und jede Familie hat ihre eigene Kultur.

Sie haben in einer Studie die Wirksamkeit des Jugendlohns evaluiert. Ist so viel Selbstverantwortung für viele junge Menschen keine Überforderung?
Keineswegs, die wenigsten tun sich schwer. Neun von zehn Teenagern entwickeln dadurch Sicherheit in Geldfragen. Sie lernen, besser vorauszudenken und zu planen. Sie werden preisbewusster, gehen sorgfältiger mit dem Geld um und lernen, notwendige Anschaffungen von Konsumwünschen zu unterscheiden.

Was tun, wenn sich der Teenager nicht an die Spielregeln hält und das ganze Geld für unnötige Anschaffungen verprasst?
Tatsächlich gibt es Jugendliche, die sich mit dem Jugendlohn als erstes eine Playstation oder einen TV kaufen. Und dann fehlt ihnen das Geld für die vereinbarten Ausgaben. Diese Fehler muss man zulassen. Nur so lernen sie daraus. Wenn man zu früh eingreift, gibt es keinen Lerneffekt. Aber in solche Exzesse verfällt nur eine kleine Minderheit.

Und wie reagieren, wenn dem Sohn oder der Tochter der vereinbarte Betrag einfach nicht reicht?
Wenn das Geld nicht reicht oder die Konsumwünsche steigen, dann sollte man aufzeigen, wie mit Babysitten, Besorgungen für die betagte Nachbarin oder zusätzlicher Mithilfe im Haushalt das fehlende Geld erarbeitet werden kann. Auf gar keinen Fall sollte man vor Monatsende einen Zustupf geben, weil das Budget schon aufgebraucht ist. Das ist Gift, so lernen die Kinder nichts daraus.

Mögen Kinder so viel Autonomie?
Die Jugendlichen fühlen sich ernst genommen und erwachsener. Sie sind stolz, schon mit zwölf Jahren der eigene Finanzchef zu sein. In 97% der Fälle entwickelten die Teenager durch den Jugendlohn mehr Selbstverantwortung und Autonomie in Geldfragen. 

Sie schreiben, dass sich der Jugendlohn auch positiv auf das Familienleben auswirkt. Wie äussert sich das?
Er entlastet, weil das Geld dadurch in der Familie zur Normalität und nicht mehr zum Zankapfel wird. Mit der Einführung des Jugendlohns beginnt aber auch ein neuer Lebensabschnitt. Das Eltern-Kind-Verhältnis wandelt sich von der bestimmenden in eine beratende Beziehung. Dieser Schritt braucht Mut, aber er lohnt sich. 

Prof. Dr. Claudia Meier Magistretti

Lehrt und forscht an der Hochschule Luzern und an der Fachhochschule Nordwestschweiz zu Gesundheitsförderung, Prävention und Public Health.

Gemeinsam mit Prof. Dr. Anja Herrmann von der Fachhochschule Nordwestschweiz publizierte sie die Jugendlohnstudie 2018: Jugendlohn. Evaluation zu Zugang, Umsetzung und Nutzen für Jugendliche und Familien.

Modell Jugendlohn

Der Jugendlohn ist ein Erziehungsmodell, bei welchem die Jugendlichen einen Teil ihrer Lebenskosten selbstverantwortlich verwalten. Damit lernen Jugendliche früh realistische Lebenskosten kennen und mit Geld umzugehen. Die Idee stammt vom Schweizer Psychologen und Familientherapeuten Urs Abt aus den 1970er-Jahren. Das Modell sieht vor, dass die Jugendlichen zwischen 100 und 300 Franken pro Monat von ihren Eltern bekommen. Mit dem Jugendlohn sollen Ausgaben des täglichen Bedarfs (ausser Wohnen, Essen, Versicherungen, Krankheitskosten oder Schulgelder) gedeckt werden.

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