Ob Geldentwertung oder Niedrigzinspolitik: Beides schränkt die finanzielle Selbstbestimmung ein. Gehen wir jetzt, wo das Wirtschaftswachstum anzieht, wieder Inflationszeiten entgegen? Hält die Niedrigzinspolitik an? Und was kann der Sparer tun? Swiss Life-Chefökonom Marc Brütsch erklärt.

Herr Brütsch, in letzter Zeit wird überall vor einer Inflation gewarnt. Wie erklärt der Profi dem Laien Inflation?
Inflation bedeutet immer, dass am Schluss das Geld weniger wert ist.

Die Inflation frisst also das Ersparte und schränkt so die finanzielle Selbstbestimmung ein?
Das kann man so sagen; die Kaufkraft eines Frankens oder eines Euros sinkt. Man kann weniger damit kaufen.

Was löst Inflation aus?
Es gibt drei Auslöser:
Erstens eine schlechte Geldpolitik, die zu einer Entwertung des Geldes führt. Früher verschlechterte man zum Beispiel den Silbergehalt der Münzen. Heute wären es die Zentralbanken, die zu viel Geld schaffen.
Zweitens ein Nachfrageschock: Die Nachfrage nach einem Wirtschaftsgut, zum Beispiel nach Erdöl, ist viel höher als die Produktion. Das führt zu Preissteigerungen.
Und drittens ein Angebotsschock: Wenn zum Beispiel eine Ernte oder ein Teil der Erdölproduktion plötzlich ausfallen würde.

Wie kann man sich vor Inflation schützen?
Aus der Geschichte wissen wir, dass Realwerte wie Immobilien oder Aktien einen grösseren Inflationsschutz bieten als ein Zins auf dem Sparbuch oder eine Obligation.

Derzeit ist die Teuerung in Europa so hoch wie seit 2010/11 nicht mehr. Was sind die wichtigsten Gründe dafür, dass die Inflation angestiegen ist?
Der wichtigste fundamentale Grund: Die Heilung der Finanzkrise ist mehr oder weniger vollzogen. Jetzt kommt die sogenannte Produktionslücke ins Spiel. Nach der Finanzkrise gab es sehr grosse Überschusskapazitäten, viele unausgelastete Maschinen und eine hohe Arbeitslosigkeit. Diese Produktionslücke scheint jetzt mit dem stärkeren Wirtschaftswachstum kleiner zu werden, die Kapazitäten werden besser ausgelastet. Damit steigt die sogenannte Preissetzungsmacht der Anbieter: Arbeitnehmer können wieder höhere Löhne, Hersteller von Gütern und Dienstleistungen höhere Preise verlangen. Dadurch steigt die Inflation.

Da und dort wird bereits gewarnt, die Teuerung könnte plötzlich viel stärker anziehen als erwartet. Sind solche Inflationsängste berechtigt?
Ich halte solche Ängste für übertrieben. Jetzt wurde vor allem einmal die Gefahr einer Deflation gebannt, also der Rückgang des allgemeinen Preisniveaus, sozusagen das Gegenteil von Inflation. Die Notenbanken haben klare Inflationsziele, sie würden ein Überschiessen dieser Rate verhindern. Darauf ist heute die Geldpolitik ausgerichtet.


Zwischen 1970 und 1974 explodierte die Teuerung zum Beispiel in der Schweiz von gut 2 Prozent auf fast 12 Prozent. Auch in den 1980er- und den 1990er-Jahren kam es zu rasanten Teuerungsschüben. Ist das heute noch möglich?

Nein, ich denke nicht. Da müssten die Notenbanken komplett versagen, ihre Ziele nicht erreichen und passiv zuschauen.

Die westlichen Zentralbanken führen seit nunmehr zehn Jahren eine ultralockere Geldpolitik und haben für Tausende von Milliarden Dollar, Euro und Franken Anleihen gekauft. Wird das nicht irgendwann zwangsläufig zu hoher Inflation führen?
Gewisse Ökonomen sagen das jetzt seit zehn Jahren, sie sagten das schon 2009, und trotzdem ist es nicht passiert. Dieses Geld ist gar nicht richtig in der Realwirtschaft angekommen.

Warum?
Die Banken wurden in der Folge der Finanzkrise viel stärker reguliert. Sie mussten ihre Bilanzen in Ordnung bringen, haben ihr Eigenkapital erhöht und stellten das neue Geld nicht als Kredite zur Verfügung. Auch die privaten Haushalte und Firmen mussten den Gürtel enger schnallen und fragten weniger Kredite nach. Dadurch konnte die lockere Geldpolitik keine Impulse auslösen, es kam nicht zu einem Multiplikatoreffekt in der Realwirtschaft wie früher.

Wie lange wird die Niedrigzinspolitik noch anhalten?
Noch lange. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren die Realzinsen in Europa deutlich unter einem Prozent bleiben werden. Ein Staat hat heute alles Interesse, dass die Nominalzinsen gedeckelt bleiben, sodass er die ablaufenden Schulden günstiger refinanzieren kann. Für die Finanzminister ist das fast die beste aller Welten, jedenfalls wird diese Politik von den Wählern an der Urne weniger bestraft als ein schmerzhaftes Sparprogramm.

Und was bedeutet das für die Sparer?
Die Sparer gehören zu den Leidtragenden der zur Behebung der Finanzkrise getroffenen Massnahmen. Jemand, der einzig vom Lohneinkommen und vom Zins auf dem Sparbuch abhängig ist, muss sich zu den Verlierern zählen. Wer dagegen Schulden hat, etwa durch Hypotheken, oder in Sachwerte investiert ist, hat profitiert.

Ein anderer globaler Trend ist die Alterung der Gesellschaft. Wie wirkt sich diese auf die Inflation aus?
Bis jetzt haben wir ein Beispiel einer alternden Gesellschaft, das wir beobachten können: Japan. Dort deutet alles darauf hin, dass der demografische Wandel inflationsdämpfend wirkt. Es wird länger gespart, darum ist mehr Anlagekapital zu tiefen Zinsen vorhanden.

Marc Brütsch 2018-6373

Marc Brütsch

Marc Brütsch und das Economic Research Team von Swiss Life haben den «Forecast Accuracy Award Switzerland» des britischen Research-Unternehmens Consensus Economics gewonnen – bereits zum zweiten Mal. Sie machten die präziseste Vorhersage der Wirtschaftsindikatoren BIP-Wachstum und Inflation. Sie gingen nach der Freigabe des Frankenkurses durch die Schweizerische Nationalbank nicht von einer Rezession durch einen Frankenschock aus, rechneten aber mit einer längeren Durstrecke für Unternehmen in der Schweiz. Darum stellten sie für 2017 eine vorsichtigere Konjunkturprognose als andere, was sich dann auch mit tiefen Wachstums- und Inflationszahlen bestätigte.

Copyright Titelbild: wirc-icai.org

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