Wie können sich Städte für die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung rüsten? Der Staat stösst an seine Grenzen. Private Investoren sehen die Herausforderung dagegen als Chance.

  • Die alternde Bevölkerung in urbanen Gebieten wächst drastisch.
  • Vielen Städten mangelt es an Wohnraum, Infrastruktur und Dienstleistungen für ältere Menschen.
  • Eine immer älter werdende Bevölkerung hat für die Städte aber nicht nur Nachteile.

Ein Seniorenheim an einem sonnigen Ort mit Aussicht – diese Vorstellung des Ruhestands ist allmählich überholt. Die Senioren zieht es vielmehr in die Stadt. Mehr als zwei Drittel der EU-Bürger leben zurzeit in Städten und die Anzahl 80-jähriger oder älterer Europäer verdoppelt sich alle 25 Jahre1.

Die alternde urbane Bevölkerung ist nicht nur ein europäisches Phänomen, sondern auch ein globales. So hat beinahe die Hälfte (43,2%) aller Senioren in den OECD-Ländern eine Stadt als Wohnsitz gewählt2.

Eine immer älter werdende Bevölkerung bringt zwar Herausforderungen mit sich, bietet aber auch wichtige sozio-ökonomische Vorteile. In Grossbritannien trugen die Menschen über 65 2010 GBP 40 Milliarden (EUR 46,6 Milliarden) zur Wirtschaft bei. Der Betrag setzt sich hauptsächlich aus einer Aufsummierung unbezahlter Freiwilligenarbeit, Sozialfürsorgeleistungen, Steuerbeiträge und Ausgaben zusammen. Der Nettobeitrag älterer Einwohner Grossbritanniens im Jahr 2030 wird sogar auf GBP 77 Milliarden (EUR 89,4 Milliarden) geschätzt3.

Marc-Philipp Martins Kuenzel
Stadtentwickler sollten sich auf den Bau geeigneter Wohngebäude für eine alternde Bevölkerung fokussieren.»

Den Bedürfnissen anpassen

Um den Bedürfnissen einer alternden Bevölkerung in urbanen Gebieten gerecht zu werden, müssen Städte auf Vordermann gebracht werden. Ältere Menschen benötigen ein Umfeld, in dem sie sicher leben und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können. Dazu müssen Infrastruktur, Nahverkehrsverbindungen, aber auch der Wohnungsbau überdacht werden.

Die EU schätzt, dass es in den nächsten Jahren EUR 40 Milliarden kosten wird, die Infrastruktur den Bedürfnissen älterer Menschen anzupassen4. Laut Marc-Philipp Martins Kuenzel, Senior Advisor bei Corpus Sireo Real Estate in Köln, übersteigt die Nachfrage nach geeignetem Wohnraum für 65-jährige und ältere Menschen das Angebot bei Weitem.

«Ältere Menschen sollten dort leben können, wo sie schon immer gelebt haben. Das ist nur möglich, wenn sich die Stadtentwickler auf den Bau geeigneter Wohngebäude fokussieren und die Bedürfnisse älterer Menschen aktiv miteinbeziehen», sagt er. «In Deutschland und überall in Europa benötigen wir in den nächsten Jahren viel mehr Einrichtungen für betreutes Wohnen.»

Privater Sektor als Vorreiter

Leider ist es nicht gerade einfach, den Staat in Sparzeiten zu überzeugen, Geld für langfristige Unterfangen locker zu machen. «Die laufenden Kosteneinsparungen sind im Moment beim Bau von altersfreundlichen Städten ein grosses Problem», sagt Chris Phillipson, Professor für Soziologie und Sozialgerontologie an der Universität Manchester. Er war Mitglied des Teams, das für die Akkreditierung von Manchester im Jahr 2012 als altersfreundliche Stadt verantwortlich war.

«Öffentliche Institutionen wie Bibliotheken, Kunstgalerien und Konzertveranstaltungen sind beim Schaffen eines attraktiven Umfelds zentral», hält er fest. Viele Städte mussten bereits Bibliotheken schliessen, öffentliche Dienstleistungen abbauen und die für die ältere Bevölkerung so wichtige Interaktion insgesamt reduzieren.

Hier kommt deshalb der private Sektor ins Spiel: Er kann dafür sorgen, dass städtische Gebiete ihre Infrastruktur ausbauen, um für ältere Menschen ein geeignetes Umfeld zu schaffen.

Alexandre_Karache
Wenn private Anleger nicht in altersfreundlichen Städtebau investieren, wird daraus nichts.

Laut Dr. Alexandre Kalache, Co-Präsident des International Longevity Centre und Pionier der 2007 von der Weltgesundheitsorganisation gegründeten Initiative für altersfreundliche Städte, wird es die altersfreundliche Urbanisierung ohne Privatinvestitionen nicht geben.

«Private Investitionen sind unerlässlich, wenn es um den Bau von Wohnungen und Infrastruktur und das reibungslose Funktionieren des Stadtkerns geht. Ohne solche Investitionen sind altersfreundliche Städte nicht möglich», sagt Kalache.

Unternehmen können auch profitieren, wenn sie sich für die alternde städtische Bevölkerungsschicht einsetzen. Laut einem Bericht des World Economic Forum vom Oktober 2015 tragen Unternehmen, welche die Chancen einer alternden Bevölkerung erkennen und sie stützen, dazu bei, dass ein positiver Kreislauf entsteht. Wenn man es folglich richtig anpacke, könnten die Märkte sowohl Treiber als auch Begünstigte einer alternden Bevölkerung werden.5


Quellen

1http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docgener/studies/pdf/citiesoftomorrow/citiesoftomorrow_final.pdf (Seite 3)

2www.keepeek.com/Digital-Asset-Management/oecd/urban-rural-and-regional-development/ageing-in-cities_9789264231160-en#(Seite 5)

3www.royalvoluntaryservice.org.uk/Uploads/Documents/gold_age_report_2011.pdf (Seite 6)

4http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docgener/studies/pdf/citiesoftomorrow/citiesoftomorrow_final.pdf (Seite 18)

5www3.weforum.org/docs/WEF_GAC_Ageing_White_Paper.pdf (Seite 4)

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