• Trotz europaweiter politischer Initiativen verändert sich das Lohn- und Rentengefälle zwischen den Geschlechtern kaum
  • Die steigende Lebenserwartung könnte die Situation noch verschärfen, denn das Lohngefälle nimmt mit dem Alter zu
  • Staat, Arbeitgeber und Finanzdienstleister müssen sich gemeinsam dafür einsetzen, dass Frauen leichter Vorsorgekapital bilden können

«Die Gleichstellung von Mann und Frau in punkto Lohn steht keineswegs kurz vor der Zielgeraden», beklagt die Europäische Kommission in ihrem jüngsten Bericht zur Gleichstellung der Geschlechter.1 Trotz der Bemühungen diese Ungleichheit zu bekämpfen, verdienen in der EU Frauen im Durchschnitt weiterhin 16,3% weniger als Männer.2 Bei den Renten beträgt der Unterschied sogar 40%.3 Deutschland zählte mit 46,5% zu den Ländern mit dem grössten Rentengefälle zwischen den Geschlechtern.4

Beim Einkommen ist die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in den späteren Jahren besonders ausgeprägt. Zahlen von Eurostat zeigen, dass in Frankreich das geschlechtsspezifische Lohngefälle bei Frauen bis 25 Jahre mit -7% sogar zu deren Gunsten ausfällt. Der Wert steigt mit zunehmendem Alter jedoch stetig an und erreicht bei Frauen im Alter von 65 Jahren einen Wert von 33%.5

Dass sich das Einkommensgefälle mit dem Alter verstärkt, hat erhebliche Auswirkungen auf das Rentengefälle und ist angesichts der steigenden Lebenserwartung besonders bedenklich. Staat, Arbeitgeber und Finanzdienstleister müssen an einem Strang ziehen, um diese Herausforderungen zu bewältigen, damit Frauen Vorsorgekapital bilden und auch im Alter ein angenehmes, selbstbestimmtes Leben führen können.

Kultureller Wandel

Obwohl die EU seit Jahren versucht, den Anteil Frauen in der Berufswelt zu steigern und in Kinderbetreuung und Steuervergünstigungen investiert, räumt die Europäische Kommission ein: «Wenn wir nicht an Tempo zulegen, wird es bis zur Gleichstellung der Geschlechter weitere 70 Jahre dauern6

Brigitte Young, emeritierte Professorin für internationale politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster, mahnt, wenn Europa keine Instabilität wolle, müsse mehr getan werden, um die finanzielle Lage der Frauen in der Gesellschaft zu verbessern.«Finanzielle Ungleichheit zwischen Männern und Frauen schafft Instabilität, und zwar nicht nur im Finanzsystem, sondern auch politisch und in der Gesellschaft selbst. Wenn Menschen nur mit Mühe zurechtkommen, fühlen sie sich vergessen und misstrauen dem Establishment. Das kann zu Unruhe führen.»

Eine entscheidende Herausforderung für Politiker und Arbeitgeber im Kampf gegen diese Ungleichheit besteht auch darin, Anreize zu schaffen, damit Frauen ihre Erwerbstätigkeit nicht zugunsten der Kindererziehung aufgeben. Da die berufliche Vorsorge als Basis für das Alterseinkommen immer wichtiger wird, können sich längere Zeiten ohne Berufstätigkeit oder mit Teilzeitarbeit künftig verheerend auf die langfristige finanzielle Situation der Frauen auswirken.

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Finanztipps sind wichtig, um Frauen die Möglichkeit zu geben, ihre Kapitalbildung selbst in die Hand zu nehmen. Hierbei fällt der Finanzbranche eine wichtige Rolle zu.

Der rechtliche Rahmen, um Eltern zu helfen, die Kinderbetreuung gemeinsam zu organisieren, ist vorhanden. Aber ein tiefgreifender kultureller Wandel steht immer noch aus: EU-weit sind bei Frauen mit einem Kind unter sechs Jahren nur 67,8% berufstätig, bei den Männern dagegen 89%7. Nach den neuesten Zahlen des britischen Institute of Fiscal Studies (IFS) beläuft sich das durchschnittliche Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Grossbritannien auf 18%. In den Jahren nach der Geburt des ersten Kindes steigt diese Zahl dramatisch auf 33%8.

Nach Ansicht von Robert Joyce, Associate Director am IFS, trägt die Teilzeitbeschäftigung von Müttern erheblich zum Fortbestand des Lohn- und Rentengefälles bei.

«Frauen in in Teilzeitjobs haben besonders niedrige Stundenlöhne. Das liegt an den geringen Lohnsteigerungen und nicht an einer sofortigen Lohnkürzung beim Wechsel von Voll- in Teilzeit. Wer beim Abbau des Lohngefälles zwischen den Geschlechtern Fortschritte machen will, muss diese mangelnden Steigerungen verstehen», erklärt Joyce.

Mögliche Auswege

Young hält Finanztipps für wichtig, um Frauen die Möglichkeit zu geben, ihre Kapitalbildung selbst in die Hand zu nehmen. Hierbei falle der Finanzbranche eine wichtige Rolle zu.

Weil Berater enge Beziehungen zu ihren Kunden haben, verstehen sie deren Probleme und können Frauen über das Warum und Wie des langfristigen Sparens aufklären, meint Tanguy Polet, Chief Customer Officer bei Swiss Life in Frankreich.

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Wir verfügen über Simulationstools, mit denen jede Frau selbst feststellen kann, wie sich ein reines «Hausfrauendasein» oder eine Teilzeitbeschäftigung auf ihre Vorsorge auswirkt.

«Wir verfügen über Simulationstools, mit denen jede Frau selbst feststellen kann, wie sich ein reines Hausfrauendasein oder eine Teilzeitbeschäftigung auf ihre Vorsorge auswirkt», erklärt er. «Manche Kundinnen können das ausgleichen und ihr Sparverhalten ändern, andere vielleicht nicht. Zumindest aber können wir ihnen die Zusammenhänge aufzeigen und Bewusstsein schaffen.»

Die frühere britische Vorsorgeministerin Baroness Ros Altmann regt an, Arbeitgeber könnten Frauen auch dadurch helfen, dass sie mit Tipps zur Finanzplanung, in Sparnetzwerken und bei Personalversammlungen auf die Notwendigkeit von langfristigem Sparen aufmerksam machen.

Da Frauen nach Prognosen der Europäischen Kommission fast ein Leben lang brauchen werden, um die finanzielle Gleichstellung mit den Männern zu erreichen, ist eine Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern, Politikern und Finanzdienstleistern gefragt, um der Diskriminierung ein Ende zu setzen und das Rentengefälle zu eliminieren. Je mehr Parteien sich verbünden, um sich des Themas anzunehmen und Frauen mehr Möglichkeiten zu geben, das Heft selbst in die Hand zu nehmen, desto eher werden sich die Ausgangsbedingungen angleichen. Dies wird nicht nur den Frauen zugutekommen, sondern der ganzen Gesellschaft.

Gender Pension Gap: Was ist zu tun?

Der „Gender Pension Gap“ ist kein Naturgesetz. Es gibt nachhaltige und innovative Lösungsansätze, um diesen zu verkleinern. Dazu braucht es aktivere Unternehmen, einen Mentalitätswandel in der Gesellschaft und auch mehr Eigeninitiative seitens der Frauen.

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