Der direkte Zugang zu einem Millionenpublikum ermöglicht eine ganz neue Form von Selbstbestimmung und Karriere. Wir zeigen sechs junge Menschen, die aus ihrer Online-Präsenz einen Beruf gemacht haben.

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Über Youtube

Gegründet 2005

Die amerikanische Videoplattform wurde 2005 erfunden und knapp zwei Jahre später für 1,65 Milliarden Dollar von Google akquiriert. Heute ist Youtube.com die zweitmeistbesuchte Website der Welt (hinter Google) und hat weit über eine Milliarde User, wovon die meisten aus den USA stammen (17%), vor Indien (8%), Japan, China und Russland (je 4%). Youtube selber sagt, die Plattform erreiche bei den werberelevanten Altersgruppen (18–34 und 18–49) mehr Menschen «als jedes Kabelnetzwerk in den USA». Finanzzahlen werden keine veröffentlicht, die Plattform dürfte jedoch einen signifikanten Teil zum Konzerngewinn von 19,4 Milliarden Dollar vom letzten Jahr beigetragen haben.

Joyce Ilg, 33, war eine arbeitslose Schauspielerin aus Köln. 2013 entdeckte sie Youtube und gilt heute als eine der erfolgreichsten deutschen Stars der Videoplattform (siehe Porträt). Pro Woche lädt die Komikerin einen Clip hoch, den sich Hunderttausende von Usern anschauen. Ilg erreicht damit ein grösseres Publikum als viele konventionelle Fernsehstationen. «Es ist total spannend, wenn man das Zepter komplett selber in der Hand hat. Als wäre man Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller auf einmal», sagt Ilg. Youtube, aber auch andere Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Snapchat, ermöglichen jungen Menschen eine neue Form von selbstbestimmter Karriere.

«Pro 1000 Klicks ein Euro»

Die anfänglichen Investitionen sind gering, eine Smartphone-Kamera reicht für erste Gehversuche. Kein Wunder ist die Attraktion gross – gibt man bei Google «how to become a youtuber?» ein, erscheinen Millionen von Suchresultaten. Youtube selber unterhält weltweit neun Studios, in denen die jungen Kreativen unter professionellen Bedingungen ihre Clips produzieren können. 

Doch was lässt sich damit eigentlich verdienen? Youtube macht keine Angaben zur Monetarisierung der Clips. Der deutsche Social-Media-Experte Philipp Steuer erklärt in einem Artikel für Jungunternehmer, wie das Geschäftsmodell «Youtuber» aussieht: «Pro 1000 Klicks verdient man so rund einen Euro und die genaue Summe variiert stark nach Jahreszeit. Kurz vor Weihnachten wird am meisten Werbung geschaltet.» Youtuber verdienen jedoch nicht nur mit den Klicks, viele lassen sich direkt von Firmen sponsern und platzieren deren Produkte oder Dienstleistungen mehr oder weniger subtil in ihren Videos.

Zu den beliebtesten Genres auf Youtube gehören Comedy, Haul-Videos (jemand geht shoppen und bespricht vor laufender Kamera die Einkäufe), Video-Gaming, Unboxing (Produkte werden «live» ausgepackt), Tutorials und Vlogs (eine Art digitales Tagebuch).

Diese sechs jungen Menschen aus Deutschland, England, Frankreich, Österreich und der Schweiz haben Youtube zum persönlichen Geschäftsmodell gemacht:

Joyce Ilg (33), Deutschland: Comedy

Kanal: Joyce
1,2 Mio. Abonnenten | 167 Mio. Views

Sie lancierte 2013 als eine der ersten Frauen in Deutschland einen Comedy-Kanal und gehört heute zu den erfolgreichsten Youtuberinnen des Landes. Auf ihrem Kanal dreht sie das, was sie «Blödsinn» nennt: Comedyfilmchen darüber, wie es wäre, wenn Pärchen sich nicht gegenseitig anlügen würden, oder zehn Gründe, warum Festivals so toll sind: «Ich will den Mädchen, die meine Videos sehen, einfach sagen: Ihr müsst nicht immer hübsch aussehen. Ihr dürft euch auch mal zum Affen machen.» Die 33-jährige Schauspielerin nutzte Youtube zunächst als Notlösung, da Jobs bei Film und TV ausblieben. Doch sie hatte so viel Erfolg, dass sie heute ihren Lebensunterhalt mit den Einnahmen von den Videos bestreiten kann. Oder wie Ilg sagt: «Dass ich von Youtube leben kann, ist voll geil.»

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Gavin Free (29), UK, Dan Gruchy (29), UK: Film

Kanal: The Slow Mo Guys
9,5 Mio. Abonnenten | 1199 Mio. Views

Die zwei 29-jährigen Briten machen Youtube-Clips in einer Qualität, wie sie auf herkömmlichen Fernsehstationen selten zu sehen ist: Mit einer 150 000-Dollar-Kamera entschleunigen sie sehr schnelle Momente, etwa wenn ein Airbag in einer Mikrowelle explodiert oder jemandem ein Fussball ins Gesicht fliegt. Seit sieben Jahren sind der Videospezialist (Gavin Free) und der Explosionsexperte (Dan Gruchy) im Youtube-Geschäft und haben zahlreiche Preise gewonnen. Knapp 10 Millionen Follower verfolgen ihre Arbeit. Den Durchbruch schafften sie mit einem 2-Meter-Wasserballon, den sie explodieren liessen (siehe Clip). «Bis dann hatten wir etwa 20 000 Views pro Video», sagt Dan Gruchy, «doch plötzlich waren es zwei Millionen. Da realisierten wir unser Potenzial.» Der Clip entstand vor sechs Jahren – bis heute wurde er über 160 Millionen Mal angeklickt. The Slow Mo Guys sollen pro Jahr weit über eine Million Dollar verdienen, alleine mit ihren Clips.

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Cyrus North, 27, Frankreich: Philosophie

Kanal «Le Coup de Phil’»
0,3 Mio. Abonnenten | 12 Mio. Views  

Der Kategorische Imperativ von Kant, der Übermensch bei Nietzsche, Spinozas Determinismus, die Dialektik von Hegel: Der 27-jährige Franzose Cyrus North bringt Jugendlichen seit 2013 die Philosophie näher. Er dekodiert die Klassiker und verwebt deren Gedankengut witzig und geistreich mit zeitgenössischen Phänomenen der Popkultur. Der studierte Ökonom bezeichnet sich als «Braintertainment-Creator» und möchte jene Menschen erreichen, «die sich sonst nicht für Philosophie interessieren». Das gelingt ihm so gut, dass seine Clips schon in Schulen gezeigt werden, um die Kinder für Philosophie zu begeistern. Philosophische Werke à la Cyrus North aufzubereiten, ist aber zeitaufwändig und kostenintensiv: «Für Hegel und Nietzsche brauchte ich über einen Monat», sagt er. Damit er seinen Kanal finanzieren kann, unterhält North eine Crowdfunding-Kampagne.        

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Kim Lianne, 26, Österreich: Mode, Beauty, Essen und Reisen

Kanal: itsKimLianne
0,7 Mio. Abonnenten | 87 Mio. Views

Die junge Wienerin ist so etwas wie eine Social-Media-Veteranin. Ihren Youtube-Kanal führt sie bereits seit 2010, da war sie 19 Jahre alt. Die Publizistik- und Kommunikationsstudentin bedient routiniert auch Instagram, Snapchat, Facebook und Twitter. Auch bei der Monetarisierung geht Kim Lianne über Youtube hinaus: Sie betreibt einen Online-Schmuckladen, kooperiert mit Amazon, wo die rezensierten Produkte direkt bestellt werden können, und machte einen TV-Spot. In den Videos beschäftigt sich die österreichische «Youtuberin des Jahres» auf witzige Art mit Mode, Beauty, Essen und Reisen. Was war der Start zu ihrer Laufbahn? «In einer Nacht-und-Nebelaktion habe ich die Kamera meines Freundes genommen, ein Video gemacht und hochgeladen. Ich sagte mir, wenn ich dafür einen Like bekomme, dann mache ich weiter. Am nächsten Tag hatte ich einen Stern und sogar einen Abonnenten auf Youtube.»

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Julia Graf, Alter geheim, Schweiz, Fashion-Tutorials

Kanal: MissChievous
0,8 Mio. Abonnenten | 180 Mio. Views

Die Schweiz-Kanadierin Julia Graf betreibt seit 2008 einen erfolgreichen Beauty-Kanal. Ihre Videos reichen von Schmink-Tutorials bis zu Fitness-Tipps. Dank akzentfreiem Englisch ist die Bernerin international erfolgreich, die meisten Fans kommen aus Deutschland, Brasilien und Kanada. Pro Woche dreht sie ein bis zwei Videos. Für eine Videoproduktion braucht sie durchschnittlich zwei Tage – inklusive Fotos für den Blog, Bildbearbeitung, Schnitt, Vertonung, Hochladen und Anpreisen in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Ihre Videos seien authentisch: «Es ist offensichtlich, wenn man sich verstellt. Dadurch wird man unglaubwürdig.» Die studierte Politikwissenschaftlerin konnte mittlerweile ihren Bürojob aufgeben und verdient ihren Lebensunterhalt mit Werbung und Kollaborationen mit Marken. «Ich geniesse ein komfortables Leben, ich würde mich aber nicht als reich bezeichnen», sagt sie. «Wieder einen Bürojob zu machen, das kann ich mir nicht vorstellen.»

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Benoît Moreillon, 24, Schweiz: Gaming

Kanal: Diablox9
1,7 Mio. Abonnenten | 246 Mio. Views

Er gehört zu den erfolgreichsten Youtubern der Schweiz: Benoît Moreillon aus dem Kanton Wallis rezensiert Computerspiele, vorwiegend im sogenannten Egoshooter-Genre. Während er die Spiele testet, gibt er seine Bewertungen und Erklärungen ab. Zudem besucht er Stars wie die Fussballer Zlatan Ibrahimovic oder Karim Benzema, um mit ihnen über Games zu diskutieren und gegen sie zu spielen. Benoît hat 2012 die Schule abgebrochen und kann heute, auch dank Werbespots, von seiner Tätigkeit leben. Besonders in Frankreich werde er sogar auf der Strasse angesprochen und um Autogramme gebeten. «Das geht schon so weit, dass die Leute mich an meiner Stimme erkennen.»

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