• Die «Babyboomer» verfügen über eine hohe Kaufkraft, die ihnen meist auch nach der Pensionierung erhalten bleibt.
  • Viele Unternehmen sind unsicher, wie sie diesen lukrativen Markt am besten angehen.
  • Wirtschaftlicher Erfolg im Seniorenmarkt setzt oft voraus, dass nicht der Eindruck entsteht, die Zielgruppe seien alte Menschen.

Die «Silver Economy» – der Markt für Waren und Dienstleistungen für Menschen ab 65 – steht in Europa vor einem Boom. Traditionell richten sich Unternehmen an jüngere Kunden, doch mittlerweile erkennen sie, dass ihnen damit Chancen entgehen . Die höhere Lebenserwartung und die speziellen Bedürfnisse und Wünsche älterer Konsumenten «sollten für Unternehmen ein Weckruf sein»,  erklärt Florian Kohlbacher, Gründungsdirektor des Research Institute on Ageing and Society an der Xi’an Jiaotong-Liverpool University in China und Herausgeber mehrerer Werke über den Seniorenmarkt.  

Im Gegensatz zu der Generation, die während des Zweiten Weltkriegs aufwuchs, verfügen die «Babyboomer», sprich die geburtenstarken Jahrgänge, die jetzt das Rentenalter erreichen, über eine kontinuierliche Erwerbsbiografie. Dadurch konnten sie hohe Ersparnisse und sonstige Vermögenswerte generieren, nicht zuletzt Erträge aus Kapitalanlagen. Zu diesem finanziellen Polster kommen nun auch Renten aus der staatlichen und der betrieblichen Vorsorge hinzu.

43 % der Befragten gaben in einer EIU-Umfrage an, der Gesamtkonsum werde in den kommenden Jahrzehnten zunehmen.

In einer Umfrage der Economist Intelligence Unit im Auftrag von Swiss Life gaben 43 % der Befragten an, der Gesamtkonsum werde in den kommenden Jahrzehnten zunehmen,  weil die Rentner dann ihre Ersparnisse aufbrauchen – und einen längeren Ruhestand geniessen. Schon jetzt ist die Kaufkraft der Rentner in Europa fast ebenso hoch wie die der jüngeren Altersgruppen, teilweise sogar noch höher. In Österreich beispielsweise liegt das mittlere verfügbare Einkommen der Senioren bei 95 % des Einkommens der unter 65-Jährigen, in Deutschland bei 90 %, und in Frankreich ist es sogar noch höher.

Florian Kohlbacher
Die höhere Lebenserwartung und die Kaufkraft älterer Konsumenten sollten für Unternehmen ein Weckruf sein.

Konsumfreudige Senioren

Die Londoner Marktforschungsfirma Euromonitor schätzt, dass die privaten Ausgaben der über 60-Jährigen bis 2020 weltweit auf USD 15 Billionen steigen werden . 2010 waren es noch USD 8 Billionen. Allein in Deutschland liegt die Kaufkraft der über 60-Jährigen bei mehr als USD 336 Milliarden pro Jahr. In Frankreich sind die Ausgaben der Menschen ab 65 in den letzten 30 Jahren schneller gestiegen als die jeder anderen Altersgruppe.

Manche Firmen nehmen die Entwicklung zur Kenntnis und beginnen, ihre Werbebotschaften entsprechend anzupassen. In Frankreich reüssierten die Modemarke Céline und das Kosmetikunternehmen L’Oréal mit dem viel beachteten Einsatz älterer Models. Joan Didion etwa war 80, als sie in der Werbekampagne für Céline auftrat. Nestlé wiederum hat kürzlich ein Forschungszentrum für gesundes Altern eröffnet. Nach Angaben von Fabrizio Arigoni, Leiter des Healthy-Ageing-Programms von Nestlé, verstärkt das Unternehmen seine Aktivitäten in diesem Bereich, weil «wir glauben, dass dort schlussendlich eine Marktchance besteht».  

Bisher sind solche Unternehmen noch in der Minderheit. Kohlbacher stellt fest: «In fast allen Ländern, die ich untersucht habe, reagieren die meisten Unternehmen gleich: Angesichts der demografischen Daten stimmen sie zu, dass etwas vor sich geht, doch auf die Frage, wie sie darauf reagieren, antworten sie: „Ganz so weit sind wir noch nicht. “»

Ältere Menschen lassen sich nur erreichen, wenn man die Produkte an ihre Bedürfnisse anpasst.

Bekanntes und Unbekanntes

Dass Unternehmen diesen lukrativen Markt nicht mit vollem Einsatz bearbeiten, hat verschiedene Gründe.

Zum einen kennen sie sich dort nicht aus. Kohlbacher erklärt: «Wir verstehen ältere Konsumenten nicht so gut wie jüngere. Es gibt alle möglichen Marktdaten, aber nur sehr wenige für die Altersgruppe ab 50 oder 60.» Wenn Nestlé bei seinen Lebensmitteln über Ernährung nachdenkt, weiss das Unternehmen laut Arigoni «zwar sehr viel über Säuglinge, aber über die ältere Bevölkerung so wenig, dass es fast ein ganz neues Gebiet ist».

In der Altersforschung werden biologische Prozesse bisher meist unabhängig davon betrachtet, wie sich das Verhalten mit zunehmenden Alter ändert. Doch Verhaltensänderungen sind der Schlüssel zum Verständnis der Bedürfnisse und Vorlieben älterer Konsumenten und, so Arigoni: «Das Verhalten hängt eng mit der Kultur zusammen. Es ist problematisch, bei Studien zur älteren Bevölkerung einfach länderübergreifend zu verallgemeinern.»

Ein Beispiel für einen Ansatz, der dem Rechnung trägt, liefert die casenio AG, ein Berliner Start-up, das sensorbasierte Smart-Home-Alarmsysteme anbietet. Ihre Produkte sollen älteren Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität ein selbständiges Leben ermöglichen. «Ältere Menschen lassen sich nur erreichen, wenn man die Produkte an ihre Bedürfnisse anpasst»,  sagt Daniel Lehmann, Leiter Business Development des Unternehmens.

Mit Stereotypen ist der Markt der über 65-Jährigen kaum zu verstehen. «Dies liegt an den gängigen Annahmen in Wirtschaftskreisen, wonach die Unternehmen schon wissen, wie es ist, alt zu sein.» Häufig führt das laut Kohlbacher dazu, dass Firmen versuchen, älteren Kunden vorzuschreiben, was sie wollen, selbst wenn sie es eigentlich selbst nicht wissen.

Anna Price
Die Silver Economy ist als Markt nicht sexy, aber der Markt ist riesig – und das ist das Interessante daran.

Tücken des Alterns

Als grosses Hindernis bei der Werbung für diese Altersgruppe kommt erschwerend hinzu, dass Unternehmen ihre Marken meist nicht mit Senioren in Verbindung bringen wollen, selbst wenn sich ihre Produkte eindeutig an ältere Konsumenten richten. Seltsamerweise teilen aber viele ältere Käufer solche Vorurteile gegen das Altern. Arigoni erklärt: «Wir meinen immer, wir sollten mit unseren Produkten auf die alternde Bevölkerung zielen, doch im Marketing weiss man, dass die Altersgruppe ab 55 keine Produkte für Alte wünscht.» Anna Price, Geschäftsführerin von Casenio (UK), stimmt zu und erklärt, ihr Unternehmen versuche bewusst darauf zu achten, dass die Produkte nicht wie Assistenzsysteme für Senioren aussehen. «Wir müssen das Stigma vermeiden und die Geräte attraktiver machen, damit die Menschen sie kaufen.» Wirtschaftlicher Erfolg im Seniorenmarkt bedeutet für manche, älteren Konsumenten Produkte zu verkaufen, ohne sie unmittelbar als Produkte für Senioren zu präsentieren.

Die Silver Economy «ist als Markt nicht sexy, aber der Markt ist riesig – und das ist das Interessante daran», erklärt Price. Allzu oft nutzen Unternehmen diese grosse Chance nicht, weil sie den Markt nicht verstehen. Doch wer bereit ist, seine Hausaufgaben zu machen und die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, dürfte reich belohnt werden.

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