Er leitet eines der renommiertesten Opernhäusern der Welt und schlüpft nebenbei immer mal wieder in die Rolle des Regisseurs: Andreas Homoki, Intendant des Opernhauses Zürich. Im Interview erklärt er, wie selbstbestimmt seine Arbeit ist.

Sie sind Intendant eines der besten Opernhäuser der Welt und schlüpfen nebenbei immer mal wieder in die Rolle des Regisseurs. Was fordert Sie mehr?
Als Regisseur bin ich als Person wie auch als Künstler stark gefordert und auch Widerständen und Kritik ausgesetzt. Ich bin im Dialog mit den Darstellern und muss spontan und flexibel sein. In meiner Rolle als Opernhausintendant habe ich zu allem ein bisschen mehr Distanz. Viele Dinge sind lange geplant. Da gibt es Abläufe, Vorläufe und Verträge.

Heisst das auch, dass Sie als Regisseur mehr Freiheiten haben als in Ihrer Rolle als Intendant?
Klar, aber ich muss mich auch immer wieder neuen Begebenheiten anpassen. Ähnlich wie ein Filmregisseur, der auf gutes Wetter hoffen muss, wenn die teure Protagonistin für die Strandszene einfliegt. Ich kann zwar alles bestimmen, aber immer innerhalb gewisser Einschränkungen. So muss ich mir auch immer wieder die Frage stellen, ob ich das, was ich mir vorgenommen habe, tatsächlich hinbekomme oder ob es einen Plan B braucht. Als Intendant bin ich aufgrund langfristiger Planungen und Verträge stärker an äussere Zwänge gebunden.

Andreas Homoki_052©Frank Blaser
Wenn ich zu früh an Plan B denke, werde ich meinen ursprünglichen Plan A nimmer erreichen.

Haben Sie immer einen Plan B in petto?
In meinem Job begegne ich beim Erarbeiten eines Stücks vielen positiven Kräften, oft aber auch starken Fliehkräften. Diese muss ich bündeln, wenn ich da zu früh an Plan B denke, würde ich meinen ursprünglichen Plan A nimmer erreichen. Das alles kann aber nur gelingen, wenn das Ganze mit einer überzeugenden Idee verknüpft ist und ich alle an dieser Idee teilhaben lasse. Mit Involvieren und Begeistern erreicht man meines Erachtens viel mehr, als wenn man den Chef raushängen lässt und hierarchisch führt. In der Kunst ist alles unter dem Maximum letztlich ungenügend.

Wie messen Sie, ob Sie das Maximum erreicht haben, am Applaus oder an der Auslastung?
Wenn das Publikum jubelt, ist das erst mal ein Erfolg. Aber wirtschaftlicher Erfolg ist ebenso wichtig. Und fast noch wichtiger ist es, ein Bild zu vermitteln, dass das Opernhaus erfolgreich arbeitet. Man ist erst wirklich erfolgreich, wenn auch die Leute, die unsere Tätigkeit nicht unmittelbar wahrnehmen, von unserem Erfolg wissen.

Sie bringen oft auch Klassiker auf die Bühne. Wie viel Gestaltungsspielraum bleibt Ihnen bei bekannten Werken?
Eine Oper ist etwas, was zunächst nur als Partitur existiert. Das zu inszenieren, bringt einen grossen Übersetzungs- und Interpretationsvorgang mit sich. Viele Werke sind schon über 150 Jahre alt. Warum sollte so ein altes Werk heute noch jemand sehen wollen? Wir bringen ein Stück auf die Bühne, wenn es in seinem Kern zeitlos ist und uns die jeweilige Geschichte heute noch etwas zu sagen hat. Diesen Kern müssen wir herausarbeiten und in den heutigen Kontext setzen. Der Gestaltungsspielraum endet allerdings dort, wo das, was gesungen wird, nicht mehr zu dem passt, was auf der Bühne zu sehen ist.

Wie kann man heute sein Publikum denn noch überraschen? Muss man immer verrückter und ausgefallener inszenieren?
Wir befinden uns als Künstler zunehmend in einem Spagat zwischen Anforderungen von Teilen des Publikums, die gerne Liebgewonnenes immer wieder sehen wollen, und Teilen von Fachpresse und Opernszene, die nach neuen Interpretationen schreien. Da wird man schon auch mal zwischen den Ansprüchen zerrieben. Mein Ziel ist, das Publikum derart vom Gesamterlebnis einer Oper zu überwältigen, dass es sogar vergisst, überhaupt in der Oper zu sein. Zugegeben ein maximaler Anspruch, aber erreichbar. 

Mein Ziel ist, das Publikum derart vom Gesamterlebnis einer Oper zu überwältigen, dass es sogar vergisst, überhaupt in der Oper zu sein. Zugegeben ein maximaler Anspruch, aber erreichbar.

Wenn ich mit anderen jungen Menschen über die Oper spreche, spüre ich, dass noch Schwellenängste da sind. Wie holen Sie das Opernhaus aus der elitären Ecke raus?
Ich will, dass Oper bei aller Komplexität zugänglich bleibt. Das bedeutet ein ständiges Bemühen um Glaubwürdigkeit und Klarheit. Wer sich vorgängig bereits über ein Stück informiert, hat natürlich mehr davon. Das Erlebnis hat dann mehr Tiefe. Aber eine Aufführung muss auch ohne Vorbildung interessant und unterhaltsam sein. Das Theater hat seine eigene Magie. Und die muss jeden Abend da sein.

Sie waren fast zehn Jahre lang als freier Regisseur tätig. Haben Sie mit der Festanstellung Freiheit aufgeben müssen?
Nicht unbedingt. Wenn ich als freier Regisseur drei Stücke im Jahr inszeniere, dann ist jedes einzelne Stück ein künstlerisches Statement. Wenn ich hingegen als Intendant wirke, kann ich mein Statement auf ein breiteres Fundament stellen. Das hat mich an der Aufgabe eines Intendanten gereizt. Ich kann es mir als Intendant auch leisten, weniger Stücke pro Jahr zu inszenieren. Dadurch hat man den Kopf freier. Wenn man ein Stück nach dem anderen inszeniert, kann einen das auch ausbrennen. 

Bei Tänzern endet die Karriere oft schon mit Mitte 30 oder spätestens mit 40. Sie wissen das von Beginn an. Deshalb muss ihre Leidenschaft für das, was sie tun, wirklich gross sein.

Einige Ihrer Angestellten können kaum bis zum regulären Pensionsalter ihren Beruf ausüben, andere arbeiten Jahre darüber hinaus. Ist das Leben nach dem Pensionsalter bei Ihnen im Haus ein Thema?
Das ist für jeden ein Thema. Aber der Zeitpunkt zum Aufhören variiert stark je nach Metier. Bei Tänzern endet die Karriere oft schon mit Mitte 30 oder spätestens mit 40. Sie wissen das von Beginn an. Deshalb muss ihre Leidenschaft für das, was sie tun, wirklich gross sein. Bässe oder dramatische Baritone haben ihren Zenit oft erst nach 40. Ihre Stimme braucht eine gewisse Reife, während hohe Sopranistinnen ihren Zenit sehr viel früher erreichen und auch überschreiten.

Wie lange möchten Sie arbeiten?
Als Intendant werde ich sicher mit Mitte 60 aufhören. Wir müssen alle irgendwann den Jüngeren Platz machen. Danach würde ich aber gern noch die eine oder andere Inszenierung pro Jahr machen. Ganz aussteigen möchte ich nicht so schnell.

Zur Person

Andreas Homoki_052©Frank Blaser

Andreas Homoki

Andreas Homoki (58) ist als Sohn einer ungarischstämmigen Musikerfamilie in Deutschland aufgewachsen. Er war nach verschiedenen Stationen lange Jahre Chefregisseur und Intendant an der Komischen Oper Berlin. 2012 hat er am Opernhaus Zürich die Nachfolge von Alexander Pereira angetreten. Seither brachte er mit grossem Erfolg Opern wie Fidelio, Lady Macbeth von Mzensk, Der Fliegende Holländer oder aktuell die Uraufführung Lunea auf die Bühne. Mit neuen Veranstaltungsformaten wie «Oper für alle» mit Live-Übertragung auf dem Sechseläutenplatz, Kinderopern oder Werkeinführungen vor den Vorstellungen bemüht er sich, neues Publikum für die Oper zu gewinnen und Schwellenängste abzubauen. Er wohnt mit seiner Frau und seinem Sohn im Teenageralter am Zürichsee.

Opernhaus Zürich

Das Opernhaus Zürich ist mit seinen rund 1100 Plätzen das kleinste der grossen Opernhäuser der Welt. Es zählt weltweit zu den besten Häusern und wurde 2014 bei den International Opera Awards als Opera Company of the Year ausgezeichnet. Beliebte Stücke, berühmte Sänger, aber auch regelmässige Uraufführungen, Kinderopern und Ballett prägen den Spielplan.

Engagement von Swiss Life

Swiss Life unterstützt in der Schweiz ausgewählte Institutionen, die Selbstbestimmung und Zuversicht fördern. Die Institutionen sind alle in den Bereichen Kultur, Umwelt, Forschung, Wissenschaft und Bildung tätig. Zusätzlich betreibt Swiss Life Standortförderung und hat in der Schweiz auch zwei eigene Stiftungen: die Stiftung «Perspektiven» und die Jubiläumsstiftung für Volksgesundheit und medizinische Forschung. Das Opernhaus Zürich ist eine von zehn Institutionen, die Swiss Life Schweiz im Rahmen der Standortförderung finanziell unterstützt. Swiss Life ist beim Opernhaus Projektpartner ausgewählter Formate von «Opernhaus Jung». Das sind Vorstellungen und Workshops für Kinder und Jugendliche.

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