Die Schweizer Juristin Carla del Ponte kämpft schon fast ihr ganzes Leben lang für den Schutz der Menschenrechte. Zuletzt ermittelte sie im Syrienkrieg – erfolglos wie sie sagt. Im Interview erklärt sie, was sie am meisten bewegt hat und was Selbstbestimmung für die Menschen im Krieg bedeutet.

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Carla del Ponte, Sie haben sich über Jahrzehnte für Menschenrechte eingesetzt. Welchen Stellenwert hat Selbstbestimmung für Menschen in Kriegsgebieten?
Gerade in Kriegsgebieten ist es sehr schwer, ein normales Leben zu führen, vor allem weil Menschenrechte verletzt werden. Die Leute versuchen dennoch, ihr Leben selbst zu bestimmen. In Syrien beispielsweise sind viele geflüchtet. Das ist auch eine Art von Selbstbestimmung - allerdings eine gezwungene, da diese Leute flüchten mussten, um ihr Leben zu retten.

In Ihrem kürzlich veröffentlichten Buch rechnen Sie mit der UNO ab. Warum?
Ich war über fünf Jahre in der Ermittlungskommission in Syrien. Unsere Arbeit war schwierig, weil wir nur die schweren Menschenrechtsverletzungen ermitteln konnten, aber nicht, wer dafür verantwortlich ist. Wir wollten Entscheidungen des UNO-Sicherheitsrats herbeiführen damit ein internationaler Gerichtshof zustande kommt. Somit hätten die Opfer Gerechtigkeit erfahren. Aber nichts ist passiert. Deshalb bin ich enttäuscht aus der Kommission demissioniert. Heute gibt es nach wie vor die totale Straffreiheit in Syrien. Niemand kümmert sich um diese Verbrechen. 

Sie waren Chefanklägerin beim Jugoslawien- und Ruanda-Tribunal. Was ist beim Syrien-Krieg anders?
Der grosse Unterschied ist, dass es bei Jugoslawien und Ruanda einen Gerichtshof gab. So konnten wir Gerechtigkeit für die Opfer erlangen. In Syrien dagegen geschieht nichts. Wir stellen dort tagtäglich Verbrechen fest von allen Seiten, aber es gibt kein Tribunal.

Was hat Sie am meisten bewegt im Syrienkrieg?
Ganz klar, dass im Syrienkrieg tausende von Kinder gestorben sind. Einerseits werden bereits 12-Jährige oder noch Jüngere gezwungen, im Krieg mitzumachen, und bezahlen es mit ihrem Leben. Andererseits sind viele Kinder bei Bombardements ihrer Dörfer oder auf der Flucht ums Leben gekommen. Und das ist schrecklich.

Nach Ihrer Zeit in Syrien sind Sie nun wieder zurück in der Schweiz. Was planen Sie für Ihre Zukunft? Carla del Ponte und eine ruhige Pension scheinen irgendwie nicht zusammen zu passen.
Ich bin seit einem Jahr nicht mehr in der Syrien-Kommission und habe nun dieses Buch geschrieben, um meiner Frustration etwas Heilung zu geben. Ich hoffe, dass es gelesen wird, denn es ist die volle Wahrheit. Und im Syrienkrieg haben wir lange keine volle Wahrheit gehabt. Zudem ist es wahrscheinlich an der Zeit, es etwas ruhiger anzugehen. Ich bin Grossmutter und könnte auch etwas mehr Grossmutter-Aufgaben übernehmen. Für kleine Kinder benötigt man viel Energie, aber daran mangelt es bei mir nicht. 

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Carla del Ponte

Schweizer Juristin und Diplomatin

Carla del Ponte ist eine Schweizer Juristin und Diplomatin. In der Schweiz machte sie sich als Bundesanwältin einen Namen ehe sie als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auch internationale Bekanntheit erlangte. Zwischen 1999 und 2007 untersuchte sie Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien sowie in Ruanda. Von 2011 bis 2017 war Carla del Ponte Mitglied einer UNHCHR-Kommission und untersuchte Menschenrechtsverletzungen im syrischen Bürgerkrieg.

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