In keinem Land Europas hat es mehr Frauen in den Verwaltungsräten von Unternehmen als in Frankreich. Clara Gaymard, eine der bekanntesten und einflussreichsten Wirtschaftsfrauen des Landes, erklärt, was Frankreich besser macht.

Frau Gaymard, mehr als vier von zehn Verwaltungsräten in Frankreich sind Frauen. Das ist bemerkenswert.
Zuerst möchte ich sagen, wie glücklich ich bin, dass es heute heisst, Frankreich mache etwas besser als andere Länder. Wir kamen dank eines Gesetzes an die Spitze. Das «Loi Copé-Zimmermann» aus dem Jahr 2011 schreibt vor, dass der Verwaltungsrat eines börsenkotierten Unternehmens mindestens zu 40 Prozent aus Frauen bestehen muss.

Ohne dieses Gesetz wäre das nicht der Fall gewesen?
Um ehrlich zu sein: leider nein. Die Politik hatte schon lange darauf gedrängt, dass der Frauenanteil in den Führungsetagen grösser wird. Die Unternehmen beteuerten, dass sie ihr Bestes täten, um das zu erreichen. Aber nichts passierte, die Zahl weiblicher Verwaltungsräte stieg einfach nicht an. Als sich immer mehr Frauen darüber beschwerten, wurde schliesslich das Gesetz eingeführt.

Bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch ist uns aufgefallen, dass Sie neun Kinder haben, aber wir wollten nicht einmal mehr nur die Mutter fragen, wie sie es schafft, Beruf und Familie zu vereinbaren...
Das finde ich gut. Ich habe auch schon einmal gesagt, dass ich die Kinderfrage erst wieder beantworten werde, wenn man jeweils auch die Väter darauf anspricht. In diesem Zusammenhang ist die Frage aber relevant: Frankreich hat es mir ermöglicht, meine Karriere mit meiner grossen Familie zu vereinbaren. In Deutschland, Italien oder der Schweiz wäre das kaum möglich gewesen. Allein die Schulzeiten hätten das verunmöglicht.

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Französische Unternehmen müssen heute besser nach Frauen suchen

Wo sehen Sie den grössten Unterschied zu anderen europäischen Ländern?
Zum einen musste ich weder für die externe Betreuung der Kinder noch für die Schule oder das Studium meiner Kinder viel Geld bezahlen. Darum konnte ich es mir leisten, eine grosse Familie zu haben. Zum anderen ist es in Frankreich für eine Frau normal, zu arbeiten und Kinder zu haben. Das ist gesellschaftlich völlig akzeptiert.

Würden Sie sagen, dass Quoten unabdingbar sind, um die Vertretung von Frauen in Führungspositionen zu verbessern?
Ich bin heute ganz klar für Quoten. Das «Loi Copé-Zimmermann» war sehr mächtig in seiner Wirkung. Frauen haben nun die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten in Verwaltungsräten unter Beweis zu stellen. Und genauso wichtig: Das Gesetz konnte Prozesse und Verhaltensweisen ändern.

Inwiefern?
Ein Unternehmen muss nun Frauen finden und das heisst, es muss besser nach ihnen suchen. Die Suche wurde professionalisiert. Man fragt sich heute mehr: Was für ein Talent haben wir nötig, welche Kompetenzen fehlen uns? Die Quote hat auch dazu geführt, dass die Verwaltungsräte internationaler zusammengesetzt sind, weil man Frauen auch im Ausland sucht. Und schliesslich hat sie eine Verjüngung der Gremien bewirkt, weil auch jüngere Frauen zum Zuge kommen.

Die Qualität der Verwaltungsräte hat sich verbessert

Ein oft gehörtes Argument gegen Quoten lautet, es sei für Frauen erniedrigend, nur wegen ihres Geschlechts ausgewählt zu werden.
Dieses Argument habe ich wirklich oft gehört. Ich antworte dann jeweils: Wirklich erniedrigend ist es zu wissen, dass du begabt bist, dass du Talent hast, dass du fähig bist, aber du kriegst wegen deines Geschlechts keine Chance, das zu beweisen. Und dann frage ich jeweils: Hat die Qualität des Verwaltungsrats abgenommen, seit Frauen darin vertreten sind? Natürlich nicht. Im Gegenteil. Die Qualität des Verwaltungsrats hat sich verbessert.

Worauf führen Sie das zurück?
Heterogene Gruppen mit unterschiedlichen Wurzeln, Kompetenzen, Lebenserfahrungen und Sichtweisen treffen bessere Entscheide als homogene Gruppen, die alle gleich denken. Heute haben vor allem weisse Männer über 55 das Sagen. Es braucht mehr Frauen, mehr Junge, mehr Minoritäten. Das ist nicht nur eine Frage der Gleichstellung, sondern eine Frage des Erfolgs. Unternehmen, deren Management so vielfältig ist wie ihre Kundinnen und Kunden, haben tendenziell eine bessere Performance. Das ist eine Tatsache, die durch zahlreiche Studien bewiesen ist. Parität ist keine moralische Frage, sie ist keine rechtliche Frage, sie ist eine Frage des geschäftlichen Erfolgs.

Was raten Sie jungen Frauen für ihren Berufsweg?
Sie sollen ein Verb aus ihrem Leben verbannen: sich schuldig fühlen. Weil sie sich nicht genug um ihre Kinder kümmern. Weil sie nicht genug an ihrem Arbeitsplatz leisten. Gebt einfach euer Bestes. Tut, was ihr tun wollt und fragt nach Unterstützung, wenn ihr Hilfe braucht. Aber fühlt euch nicht schuldig.

Herausragende Karriere

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Clara Gaymard

Clara Gaymard, 58, ist Verwaltungsrätin mehrerer multinationaler Konzerne (Veolia, Bouygues, Danone, LVMH), seit 2015 Präsidentin des Women’s Forum for the Economy and Society und Co-Gründerin von RAISE, einer wohltätigen Kapitalbeteiligungsgesellschaft, die unter anderem über einen Stiftungsfonds französische Startups und Unternehmen unterstützt. Von 2006 bis 2016 war sie CEO und Verwaltungsratspräsidentin von GE France. Die Absolventin der Eliteuni École Nationale d’Administration hatte vor ihrer Karriere in der Privatwirtschaft auch verschiedene Positionen in der französischen Verwaltung inne, hauptsächlich im Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, wo sie sich auf KMU-Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung konzentrierte. 2003 wurde sie zur Botschafterin und Präsidentin der Agence française pour les investissements internationaux ernannt. Sie ist mit dem früheren französischen Finanzminister Hervé Gaymard verheiratet und hat mit ihm neun Kinder.

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