Der junge Deutsch-Russe Igor Levit wird von vielen als Jahrhundertpianist gehandelt. Dabei begnügt er sich nicht mit seinem Flügel, sondern spielt auch virtuos auf der Klaviatur der sozialen Medien. Gedanken zum Alter macht sich der 30-Jährige nicht. Er hat gelernt, wie schnell sich tolle Pläne für die Zukunft ändern können.

Igor Levit, auf Ihrer Website steht: «Igor Levit has learnt everything that there is to know about music.» Ich stelle mir das ziemlich langweilig vor, mit 30 schon alles gelernt zu haben...
Das Zitat stammt nicht von mir, ich würde so etwas nie sagen. Nicht nur was die Musik, sondern was das ganze Leben betrifft, ist das eine vollkommen groteske und unrealistische Vorstellung. Natürlich war das eine schöne Kritik, aber mit Lebensrealität hat sie wenig zu tun.

Ihr Debüt-Album mit den späten Beethoven-Sonaten landete 2013 auf Platz 46 der deutschen Charts, wo sich sonst Popgrössen wie Helene Fischer oder Udo Lindenberg tummeln. Das baut unheimlich Druck auf.
Ja, das kann schon sein, aber ich hatte nie negative Gefühle, was meinen Beruf betrifft. Klar gibt es Druck, aber ich empfinde ihn nicht als negativ, er hemmt mich nicht. Ich liebe meinen Beruf so sehr, dass auch Druck die positiven Seiten nie überschatten kann.

Eine Platzierung in den Popcharts ritzt die Grenze zwischen Klassik und Popmusik. Merken Sie davon auch etwas an Ihren Konzerten – sitzen viele Junge bei Ihnen im Publikum?
Ja, ich habe sehr viele junge Leute im Publikum, aber woran das liegt, kann ich nicht sagen. Ich erlebe immer ganz tolles Publikum, sehr häufig sind das sehr junge und sehr neugierige Leute. Aber wissen Sie, nicht nur junges Publikum ist neugierig. Jedes Publikum ist neugierig, wenn man es ernst nimmt. Ich versuche mein Publikum immer ernst zu nehmen.

Jedes Publikum ist neugierig, wenn man es ernst nimmt.

Auf Twitter nennen Sie sich «Igor Levit. Pianist. Citizen. European». Sie äussern sich gerne und freimütig zur Weltlage. Viele Künstler halten sich gerne raus. Wieso Sie nicht? 
Weil ich das für eine unerträglich arrogante, falsche Herangehensweise halte. Jemand, der Musik machen darf und vielleicht auch sogar wahnsinnig erfolgreich damit ist, verdankt diesen Erfolg auch dieser Gesellschaft, dem Frieden, in dem wir leben dürfen. Wir leben hier in Europa in einem sehr friedlichen und guten Miteinander. Das erlaubt zum Beispiel einem Musiker konzentriertes, fokussiertes Arbeiten. Ein Musiker, dem das egal ist, und der sagt, ich mach halt Musik und der Rest interessiert mich nicht – eine solche Haltung finde ich schwer erträglich. Diesen Leuten sage ich: Du verdankst dieser Gesellschaft enorm viel, also pfeif nicht drauf! Ich kann solche Leute nur schwer ernstnehmen.

Machen Sie sich als 30-Jähriger eigentlich auch schon Gedanken zum Alter? Als Musiker haben Sie ja nicht wirklich eine Pensionsgrenze. Wie stellen Sie sich Ihr Alter vor?
Das kann ich Ihnen ehrlich gesagt nicht beantworten. Ich habe durch viele Erfahrungen gelernt, dass tolle Pläne für die nächsten zehn Jahre innerhalb der nächsten zehn Minuten kaputtgehen können.

Um beim Alter zu bleiben und zum Anfangszitat zurückzukehren: Was soll denn einmal auf Ihrem Grabstein stehen, was soll Ihr Leben zusammenfassen?
Sie stellen mir ja nette Fragen. (lacht) Das können Sie mich wirklich unmöglich fragen! (überlegt) Er war ein guter Mensch. Das würde mir schon reichen. 

Interview: Ruth Hafen

Igor Levit

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Pianist

Geboren 1987

Igor Levit wurde im russischen Nischni Nowgorod geboren und siedelte 1995 mit seiner Familie nach Deutschland über. Sein Studium an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover absolvierte er mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Instituts. Als jüngster Teilnehmer gewann er beim 2005 ausgetragenen International Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv die Silbermedaille, den Sonderpreis für Kammermusik, den Publikumspreis und den Sonderpreis für die beste Aufführung des zeitgenössischen Pflichtstücks. Bisher hat Levit sechs CDs eingespielt mit Werken von Bach, Beethoven und Rzewski.

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