Permi Jhooti ist eine Pionierin des Frauenfussballs und Vorbild für Millionen von Mädchen. Der Erfolgsfilm «Kick It Like Beckham» erzählte die Geschichte der jungen Frau, die heute als Künstlerin in der Schweiz lebt. Ein Gespräch über den Kampf für Selbstbestimmung.

«Kick It Like Beckham» schlug 2002 ein wie eine Bombe und machte Frauenfussball erstmals in einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Wie kam es zur Verfilmung Ihrer Geschichte?
Im Jahr 2000 wurde ich beim FC Fulham in London die erste Profifussballerin mit asiatischem Hintergrund. Als die britische Regisseurin Gurinder Chadha, die ebenfalls indische Wurzeln hat, von meiner Geschichte hörte, beschloss sie, diese zu verfilmen. Dabei nutzte sie den Fussball, um sehr grundlegende Dinge aufzuzeigen: Die Situation der ersten Generation indischer Einwanderer in England und deren Konflikt mit ihren Kindern.

Sie waren ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen. Wieso sagten Sie ab?
Ich mochte das finale Drehbuch nicht. Zwar stimmten die meisten Fakten – die Probleme mit den Eltern, die Zwangsverlobung mit einem Inder, die Beziehung zu meinem Trainer – das alles ist tatsächlich passiert. Aber ich empfand mein Leben als viel tiefer, komplexer als im Film dargestellt. So konnte ich mich einfach nicht selber spielen.

Was hat Sie mit dem Film versöhnt?
Die Reaktionen des Publikums. Viele Menschen sagten mir, wie sehr sie der Film inspirierte, sich selber zu sein. Da realisierte ich, dass er – trotz Vereinfachung der Realität – richtig verstanden wird. Er löst etwas aus und macht Mut. Und das war für mich das Allerwichtigste.

Was gab Ihnen den Mut, gegen Konventionen zu kämpfen?
Das Wichtigste, was man dafür braucht, ist Vertrauen. Ich hatte eine wundervolle Primarlehrerin, die mir zuhörte und für mich da war, als ich aneckte und Probleme machte. Sie sagte zu mir: «Du bist speziell. Ich weiss zwar nicht was, aber du kannst etwas Besonderes schaffen.» Diesen Satz habe ich nie vergessen. Und bis heute versuche ich ihr zu zeigen, dass sie Recht hatte. Auch später traf ich immer wieder auf Menschen, die an mich glaubten, ohne mich in eine bestimmte Richtung zu drängen. Die mir das Gefühl vermittelten, dass ich meine Ziele erreichen kann.

Sie wurden nicht nur gegen den Willen der Eltern Fussballerin, sondern weigerten sich auch, die arrangierte Ehe einzugehen. Wie reagierten die Eltern?
Das war sehr schwer für sie. Besonders meine Mutter reagierte sehr heftig und sagte: «Ich wünschte, du wärst tot. Du bringst Schande über unsere Familie.» Wie in so einem Fall üblich, sollte ich von der Familie verstossen werden, aber mein Vater starb, kurz bevor er mir diese Nachricht hätte überbringen sollen. Heute verstehe ich: Sie wollten mich auch beschützen vor der Aussenwelt, vor möglichem Rassismus, den sie selber erfahren hatten.

Haben Sie sich inzwischen versöhnt?
Ja. Nach dem Tod meines Vaters versammelten sich Freunde und Familie bei uns zu Hause zum Trauern. Allesamt Inder, darunter auch meine Tanten, die ihre Töchter verstossen hatten, weil sie sich gegen eine arrangierte Ehe gewehrt hatten. Dann klingelte es an der Tür und mein damaliger weisser Freund Ian stand da. Und was machte meine Mutter? Sie stürzte sich auf ihn, legte den Arm um seine Schultern und sagte: «Seht her, das ist mein Sohn.» Sie entschuldigte oder erklärte sich nicht, sondern tat es, als wäre es die grösste Selbstverständlichkeit. Ich hätte nicht stolzer auf sie sein können.

Ist man einsam, wenn man seinen eigenen Weg geht?
Im Gegenteil. Ich fühlte mich viel einsamer, bevor ich meinen eigenen Weg ging. Ich kämpfte mit meinen Gedanken, versteckte meine Gefühle und hatte Angst, gegen die Regeln meiner Familie zu verstossen. Ich spürte, wie die Leute auf mich schauten und über mich redeten. Aber wenn man ein ehrliches Leben führt, dann hat man kein schlechtes Gewissen. Dann ist man frei und nicht mehr angreifbar. Diese Autonomie macht dich stark, dann holst du wirklich das Beste aus dir heraus. Selbstbestimmung bedeutet also nicht Verlust, sondern Gewinn von Lebensqualität.

Worin bestand dieser Konflikt?
Zum einen vermittelten sie tradierte, konservative Familienwerte. Für uns Frauen war eine arrangierte Ehe vorgesehen und eine Rolle als Mutter. Zum anderen sahen unsere Eltern in der Bildung den Schlüssel für eine gute Zukunft. Meine Eltern mussten, obwohl sehr intelligent, ihr Geld mit WC-Putzen verdienen. Sie wollten, dass wir fleissig lernen, um Anwältin, Ärztin oder Lehrerin zu werden. Aber unsere Generation wollte etwas ausserhalb dieser Erwartungen machen, privat wie beruflich, sei es als Fussballerin oder – wie bei Gurinder Chadha – als Regisseurin. 

Nach der Fussballkarriere arbeiteten Sie in Basel als erfolgreiche Informatikerin in der Herzforschung. Vor fünf Jahren kündigten Sie und wurden eine angesehene Fotokünstlerin. Ist das Künstlerleben die höchste Form von Selbstbestimmung?
Nein. Entscheidend ist es, ein ehrliches und leidenschaftliches Leben zu führen, ganz unabhängig vom Beruf. Ich trennte mich damals von meinem Mann Ian und wollte einen Neuanfang. Ich mochte meinen Job, aber fragte mich: Tust du wirklich das, wovon du einst als Jugendliche geträumt hast? Dann kaufte ich eine Kamera und nutzte mein Programmier-Knowhow für die Kunst. Objektiv ergab das keinen Sinn, denn ich hatte null Erfahrung mit Kunst und zu Beginn verdiente ich mit meinen Bildern und Videos auch kaum etwas. Aber ich war meinem Herz gefolgt und war ganz bei mir.

Haben Sie nie Angst vor dem Scheitern?
Und wie. Meine Freunde glauben, ich kenne keine Angst, aber das ist völliger Unsinn. Ich fürchte das Scheitern sogar enorm. Aber Scheitern würde bedeuten, es nicht zu riskieren. Ich habe Angst davor, nicht mein Leben zu leben.

Zurück zum Fussball. Nach Ihrem Rücktritt als Profi reisten Sie als FIFA-Botschafterin um den halben Globus, um Frauenklubs und Frauenligen aufzubauen. Sind Sie enttäuscht, dass Frauenfussball trotz des Booms nie die gleiche Publicity hat wie Männerfussball?
Vielleicht wird es der Frauenfussball in zehn Jahren geschafft haben. Lange hiess es ja auch, Tennis sei Männersache. Aber heute erhalten Männer und Frauen an den grossen Turnieren dieselben Preisgelder. Doch mir persönlich ging es gar nie um Zuschauerzahlen und Geld.

Um was sonst?
Mir ging es in erster Linie darum, dass heute weltweit über dreihundert Millionen Amateurinnen Spass an diesem Sport haben. Dafür habe ich gekämpft. Und ich habe zudem festgestellt: Wenn Frauen Fussball spielen dürfen, geht es ihnen auch gesellschaftlich besser.

Spielen Sie selber noch Fussball?
Ja, wenn ich in London bin, treffe ich mich mit den alten Freunden im Park. Sobald ich den Ball am Fuss habe, werde ich zu einem anderen Menschen. Meine ganze Körperhaltung ändert sich, also ob ich tanzen würde. Ich liebe dieses Gefühl. 

Künstlerin

Jhooti_Porträt

Permi Jhooti

Pionierin des Frauenfussballs

Permi Jhooti (48) war die erste asiatische Profifussballerin und spielte einst bei Millwall, Chelsea und den Fulham Ladies. Ihr Leben diente als Inspiration für den Film «Kick It Like Beckham». Seit 2005 lebt die Britin indischer Abstammung in Basel, wo sie an der Universität als Informatikerin in der Herzforschung arbeitete. Seit fünf Jahren ist sie eine erfolgreiche Künstlerin, die mit ihren Bildern und Videos Kunst, Wissenschaft und Technologie zusammenführt.

Jhooti_Filmplakat
Jhooti_Filmplakat

«Kick It Like Beckham» (Originaltitel: «Bend It Like Beckham») ist eine Filmkomödie der britischen Regisseurin indischer Abstammung Gurinder Chadha aus dem Jahr 2002. Er wurde zum Überraschungserfolg mit weltweit über 30 Millionen Zuschauern, gewann unter anderem den Publikumspreis beim Filmfestival von Locarno und wird zu Lernzwecken in Schulen verwendet. Die Komödie gilt als erfolgreichste britische Produktion aller Zeiten.

Swiss Life unterstützt den Schweizer Fussball

Swiss Life ist seit 2004 Vorsorgepartnerin des Schweizerischen Fussballverbandes und unterstützt dabei auch den Frauen- und den Nachwuchsfussball. Vom 18. bis 30. Juli 2018 findet in der Schweiz die Frauen U-19-EURO statt.

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