Die gute Nachricht: Wir können beeinflussen, ob wir alt sind oder nur älter werden. Die schweisstreibende: Wir müssen dafür trainieren. Fitness-Pionier Werner Kieser über die Bedeutung des Krafttrainings für ein langes, selbstbestimmtes Leben.

Vor 50 Jahren eröffneten Sie das erste von 159 Fitness-Studios. Trainieren Sie mit 77 Jahren auch selbst noch dort?
«Noch» ist gut! Je älter man ist, umso wichtiger wird das Training. Ich trainiere zwei bis drei Mal pro Woche. 

Mit 65 wiesen Sie Kraftwerte auf wie als 25-Jähriger. Wie sind Ihre Kraftwerte heute?
Im Frühling brach ich meinen Oberarmknochen und der ganze Oberkörper war während fünf Wochen fast zur Unbeweglichkeit gezwungen. Inzwischen habe ich meinen Zustand vor dem Unfall nahezu wieder erlangt, aber welche maximalen Kraftwerte ich noch erreiche, weiss ich erst Ende Jahr. Ich rechne damit, dass diese jenen entsprechen, die ich mit 40 hatte. 

Macht Ihnen das Training eigentlich Spass?
Man muss ins Fitness-Studio gehen, wie man sein Auto in die Waschanlage bringt. Krafttraining ist eine Hygienemassnahme zur Wartung des Körpers und zweimal dreissig Minuten pro Woche genügen, um einen Effekt zu erzielen. Das ist nicht lustig und auch nicht gerade angenehm. Aber es macht glücklich – und das ist entscheidend.

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Das Leben ist sinnlos – es sei denn, Sie selbst, und niemand anderer, geben ihm einen Sinn.

Der Weg zum Glück führt über den Körper?
Absolut! Unser Körper muss intakt sein, damit wir frei sind für andere Dinge. Glücklich werden wir nur, wenn wir uns um den Gesundheitszustand unseres Körpers keine Gedanken machen müssen. 

Egal, ob Joggen, Schwimmen oder Krafttraining? Oder spielt es für den Körper eine Rolle, wie man ihn fit hält?
Dass Krafttraining unter Sport subsummiert wird, ist etwa so falsch, wie wenn wir Kauen mit Zahnpflege verwechseln würden. Krafttraining muss ­­– vergleichbar mit der Dentalhygiene – als präventive Massnahme betrachtet werden. Die Reihenfolge lautet: «Wer seine Kraft trainiert hat, kann sich Sport leisten.»

Wir Menschen werden immer älter. Wann erreichen unsere Muskeln ihren Leistungspeak?
Langzeitstudien zeigen, dass der Abbau der Muskulatur wie auch der Knochendichte schon mit 25 beginnt – vorausgesetzt, man unternimmt nichts dagegen. Während Sie dieses Interview lesen, gehen Tausende von Zellen in Ihrem Körper zugrunde – gleichzeitig werden Tausende neu gebaut. Mit dem Krafttraining fördern Sie die Aufbauprozesse auf Kosten der Abbauprozesse – das gilt für die Muskeln wie für die Knochen. Und übrigens: Sie tun damit auch gleich noch etwas für Ihr Gehirn.

Krafttraining ist nicht lustig und auch nicht gerade angenehm. Aber es macht glücklich.

Wie das?
Muskelarbeit erzeugt Myokine, das sind hormonartige Stoffe, die im Hirn langfristige Veränderungen mentaler Zustände verursachen. Ich habe mit 62 mein Studium in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte in englischer Sprache begonnen und mit 72 abgeschlossen. Und daneben einen Konzern aufgebaut. Ohne regelmässiges Krafttraining hätte ich das wohl nicht geschafft.

Wann sollte man beginnen mit Krafttraining?
Idealerweise sollten Kräftigungsübungen schon im Kleinkindalter integriert werden, um eine gute Entwicklung des Bewegungsapparates zu gewährleisten. Natürlich sieht ein solches Training etwas anders aus. Mit beginnender Pubertät soll jedoch ein methodisches Krafttraining an Geräten aufgenommen werden. Meine Hypothese ist, dass die meisten üblichen Probleme im Erwachsenenleben wie Rücken- oder Knieschmerzen damit verschwinden oder zumindest ins höhere Alter verschoben werden. 

«Gesundheit kennt kein Alter», so der Titel eines Ihrer Bücher. Versprechen Sie die ewige Jugend?
Nein. Was ich sage: Alt werden ist eine Sache, schwach werden, eine andere. Viele so genannte Altersbeschwerden haben ihre Ursache im Kraftverlust. Die Muskeln sind bis ins hohe Alter trainierbar, wie Studien mit 86- bis 96-Jährigen gezeigt haben. Aber was tun wir? Wir schonen die Alten zu Tode!

Lebt ein trainierter Mensch länger?
Ob ein trainierter Mensch länger lebt, kann ich nicht beurteilen; dass er besser und selbstbestimmter lebt, steht ausser Frage. Mit zunehmendem Alter wird man nicht nur schwächer, sondern in den meisten Fällen auch schwerer. Schwach und schwer ist eine unglückliche Kombination: Sie tragen immer schwerer an sich. Denn es sind ja ausschliesslich unsere Muskeln, die uns durchs Leben tragen. Letztlich sind die inneren Organe lediglich die «Diener» der Muskeln. Wenn diese nicht gebraucht werden, verkommen auch die inneren Organe und wir werden krank.

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Ob ein trainierter Mensch länger lebt, kann ich nicht beurteilen; dass er besser und selbstbestimmter lebt, steht ausser Frage.

Wie erleben Sie das Altern und den körperlichen Zerfall ganz persönlich? Als permanenten Niedergang?
Im Gegenteil: Das Alter hat durchaus auch Vorteile. Der Leistungsdruck ist weg, die Lebensziele sind erreicht, jene Interessensgebiete, die oft etwas zu kurz kamen – in meinem Fall Philosophie, Literatur und Musik – können ausführlicher gepflegt werden. 

Sie haben Ihre Firma Anfang dieses Jahr verkauft. Sind Sie als Pensionär in ein mentales Loch gefallen?
Nein, schliesslich war dieser Generationenwechsel frühzeitig geplant, vorbereitet und reibungslos durchgeführt worden. Meine erwähnten aussergeschäftlichen Interessenfelder bewahrten mich stets davor, vom Unternehmen in freudloser Weise vereinnahmt zu werden. Von einem «Burnout» – sprich Angst vor Anerkennungsverlust – blieb ich verschont.

Ist ein hohes Alter erstrebenswert?
Das ist Geschmacksache – solange einem das Leben gefällt, wird man auch dem Alter Freude abgewinnen.

Sie sagten einmal: «Die Tätigkeit, die wir Leben nennen, besteht im Hinausschieben des Todes.» Stellt sich da nicht die Sinnfrage?
Das Leben ist sinnlos – es sei denn, Sie selbst, und niemand anderer, geben ihm einen Sinn.

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Werner Kieser

Fitnessunternehmer und Buchautor

Werner Kieser (77) hat 1967 die Kieser Training AG gegründet und zu einem internationalen Unternehmen mit 159 Kraftstudios in 8 Ländern ausgebaut, 115 davon in Deutschland. 2017 hat der erfolgreichste Krafttrainer Europas sein Unternehmen verkauft. Der gelernte Tischler und studierte Philosoph vertritt eine puritanische Trainingslehre, pures Krafttraining, ohne irgendeine Ablenkung. «Der Hohepriester der Kraft» (FAZ) und «Muskelpapst» (Tages-Anzeiger) ist Autor mehrerer Bücher u. a. «Die Seele der Muskeln» (1997), «Ein starker Körper kennt keinen Schmerz» (2003), «Gesundheit kennt kein Alter» (2005), «Die Entdeckung des Eisens. Stationen meines Lebens» (2008). Er lebt in Zürich.

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