Die Leistungsfähigkeit und die Motivation nehmen mit fortschreitendem Alter ab, heisst es gemeinhin. Eine neue Studie beweist nun das genaue Gegenteil: Ältere Beschäftigte sind im Schnitt produktiver und zuverlässiger als jüngere. Den entscheidenden Unterschied machen die Erfahrung sowie das Wissen aus, das in jeder Lebensphase erworben wird.

«Produktivität ist nicht alles», schrieb Paul Krugman, der Ökonomieprofessor und Nobelpreisträger, «aber auf lange Sicht ist sie fast alles.» Ohne höhere Produktivität gibt es, vereinfacht gesagt, kein höheres Wirtschaftswachstum, keine höheren Löhne und keinen höheren Wohlstand. Oder wie es Krugman formuliert: «Wettbewerbsfähigkeit ist eine poetische Umschreibung für Produktivität.»

Der demografische Wandel gibt der Diskussion um Produktivität eine ganz neue Dimension. Im Jahr 2035 wird jeder vierte Europäer über 65 Jahre alt sein – 1960 war es nicht einmal jeder Zehnte. Parallel dazu verändert sich auch die Altersstruktur der Erwerbstätigen. Immer mehr Personen über 55 Jahren sind heute arbeitstätig.

Laut weitverbreiteter Meinung sind ältere Arbeitnehmende allerdings weniger leistungsfähig als jüngere und bremsen darum die Wertschöpfung einer Firma eher, als sie zu steigern. Indes: Das ist nur ein Mythos. Medizinisch unbestritten ist einzig, dass die physischen und kognitiven Fähigkeiten mit fortschreitendem Alter nachlassen.

Leistungskraft älterer Menschen wird deutlich unterschätzt

Eine empirische Studie des Munich Center for the Economics of Aging (MEA), einer Abteilung des angesehenen Max-Planck-Instituts, beweist nun, dass die eigentliche Leistungskraft älterer Menschen deutlich unterschätzt wird. (Quelle: «Productivity and age: Evidence from work teams at the assembly line», Journal of the Economics of Ageing, April 2016.)

Die MEA-Forscher erhoben Daten von fast 4000 Fliessbandarbeitern in hundert Arbeitsgruppen eines Mercedes-Lastwagenwerks. Dass der Arbeitsprozess sehr standardisiert ist, erlaubte es ihnen, die Produktivität anhand der Fehlerquote zu messen und dabei die Leistungen verschiedener Altersgruppen zu vergleichen. Das überraschende Resultat: Die Arbeitsproduktivität sank mit zunehmendem Alter der Beschäftigten nicht etwa, wie das gängige Vorurteil erwarten liesse, sondern sie stieg im Gegenteil bis zum Pensionsalter von 65 Jahren an. 

«Die Produktivität und Zuverlässigkeit der älteren Mitarbeitenden ist unter dem Strich sogar höher als die der Jungen», sagt denn auch Professor Axel Börsch-Supan, Direktor des MEA und einer der führenden Altersökonomen Europas. Der wichtigste Grund dafür: «Ältere Beschäftigte können dank ihrer grösseren Erfahrung besser mit Stress umgehen. Sie machen zudem deutlich seltener schwere und teuer zu beseitigende Fehler als jüngere.»

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Ältere Beschäftigte sind unter dem Strich produktiver und zuverlässiger als jüngere

Die Weisheit des Alters

In der «Weisheit des Alters» sieht auch Karl P. Ruoss, Head of Human Resources der Swiss Life-Gruppe, einen der grössten Vorteile von älteren Angestellten für ein Unternehmen. Sie zeichneten sich durch «Expertise, Leistungsbereitschaft, Loyalität, Verantwortungsbewusstsein, Verlässlichkeit, Sozialkompetenz und Hilfsbereitschaft» aus.

Das sind gute Nachrichten für Volkswirtschaften und Unternehmen in Europa. Allerdings muss man dieses brachliegende Potenzial viel stärker nutzen als heute. In Frankreich etwa arbeitet nur knapp die Hälfte der 55- bis 64-Jährigen, weit weniger als in Deutschland oder der Schweiz. «Die Unterbeschäftigung von älteren Menschen ist eine wirtschaftliche Verschwendung; wir verlieren ihre speziellen Fähigkeiten und die Produktion nimmt ab», sagt Antoine d’Autume, Wirtschaftsprofessor an der Université Panthéon-Sorbonne und der Paris School of Economics.

Lebenslanges Lernen ist entscheidend

Wenn die Erwerbsbevölkerung immer älter wird, muss darum auch die Arbeitswelt neu gestaltet werden. Das realisieren immer mehr Unternehmen in Europa.

Swiss Life etwa arbeitet im Rahmen des Programms «Berufsleben aktiv gestalten» im Heimmarkt Schweiz intensiv an dieser Erneuerung der Arbeitswelt. «Wir realisierten schnell, dass Themen wie neue Arbeitsmodelle oder lebenslanges Lernen alle Phasen des Berufslebens betreffen, nicht nur die älteren Arbeitnehmenden», sagt Ruoss.

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Wir müssen heute handeln, damit wir auch morgen und übermorgen ein langes und selbstbestimmtes Leben in Würde führen können

Wichtige Elemente des Programms sind zum Beispiel Arbeitszeit-, Arbeitsort- und Auszeitmodelle für die verschiedenen Erwerbsphasen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem zu vereinfachen. Stetige Weiterbildung über alle Lebensphasen hinweg soll zur Normalität werden. Die Arbeit will man für alle Mitarbeitenden, nicht nur für ältere, gesundheitsfördernd ausgestalten. Und mit flexibleren Pensionierungsmodellen will Swiss Life ältere Know-how-Träger länger im Unternehmen halten. 

Ziel des Projekts ist es laut Ruoss, «für alle Generationen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und Kreativitäts- und Produktivitätspotenziale der Generationenvielfalt bewusst zu nutzen».

Aktives Generationenmanagement

Für ein «aktives Generationenmanagement» in den Betrieben, das auf die Fähigkeiten der verschiedenen Altersgruppen abstützt, spricht sich auch der französische Wirtschaftsprofessor d’Autume aus. Besonderes Gewicht legt auch er auf lebenslanges Lernen. Davon profitierten nicht nur die Einzelnen, sondern auch die Firma, sagt er: «Den Erwerb von Erfahrungen zu fördern, individuell und kollektiv, ist eine Quelle der Produktivität und damit auch des Gewinns für ein Unternehmen.»

Klar ist: Mit dem demografischen Wandel steht der Wirtschaft und den Unternehmen nichts weniger als ein Kulturwandel ins Haus. Ein Kulturwandel, der erst begonnen hat. «Wir stehen noch am Anfang», sagt Karl P. Ruoss, «aber wir müssen heute handeln, damit wir auch morgen und übermorgen ein langes und selbstbestimmtes Leben in Würde führen können.» 

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