Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken belastet zunehmend die Altersvorsorge. Sie macht es Pensionskassen immer schwieriger, ihre Rentenversprechen zu erfüllen – und das noch auf sehr lange Zeit hinaus. Die Rechnung bezahlen die kommenden Generationen.

Bedenklich: Neben Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen schrumpft die Bedeutung des «dritten Beitragszahlers» – des Kapitalmarktes –für die berufliche Vorsorge deutlich.

Wenn über die Zukunft der Altersvorsorge diskutiert wird, geht es meist um das Rentenalter, die Beitragssätze oder die Rentenhöhe. Die grossen Auswirkungen der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken auf die private und die betriebliche Altersvorsorge sind hingegen noch nicht im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen. Das zeigt sich besonders gut am Beispiel der Schweiz, da das Bundesamt für Sozialversicherungen seit dreissig Jahren detaillierte Zahlen zu den Einnahmenkomponenten der betrieblichen Altersvorsorge erfasst. Die wesentlichen Aussagen in diesem Artikel gelten aber auch für andere Länder mit Kapitaldeckungsverfahren, für jede betriebliche Vorsorgeeinrichtung, welche die Beiträge ihrer Kunden zumindest teilweise auch am Kapitalmarkt anlegt, und natürlich auch für private Sparer. 

Die schrumpfenden Rentenbeiträge des Kapitalmarktes

Nehmen wir die betriebliche Vorsorge in der Schweiz, welche über die Pensionskassen geregelt ist und üblicherweise je zur Hälfte von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern finanziert wird. Neben diesen beiden bekannten Beitragszahlern gibt es auch einen eher unbekannten, den sogenannten «dritten Beitragszahler»: den Ertrag auf dem angelegten Vermögen.

Was viele überraschen dürfte: Der Anteil der Vermögenserträge am Alterskapital machte in der Vergangenheit bis zu 40 Prozent aus. Vier von zehn Franken an Renten wurden also vom Kapitalmarkt finanziert. Seit 1999 ist dieser Anteil stetig geschrumpft, wie die Zahlen des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigen. 2015 zum Beispiel trug der Kapitalmarkt nur noch 17 Prozent zu den Einnahmen bei. 

Ein wichtiger Grund dafür: Die Pensionskassen legen, nicht zuletzt auch wegen staatlicher Anlagebeschränkungen, einen beträchtlichen Teil der Vorsorgevermögen in festverzinslichen, langfristigen und risikoarmen Obligationen an. Solche Anleihen machen heute rund 40 Prozent eines durchschnittlichen Pensionskassenportfolios aus, schätzt die Neue Zürcher Zeitung. Früher waren es auch schon 60 Prozent. Auch in Deutschland besteht rund ein Drittel des Portfolios von Pensionskassen aus Anleihen, schreibt das Fachmagazin dpn (deutsche Pensions- und Investmentnachrichten). 

Wer Sicherheit sucht, muss dafür bezahlen

Wegen der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken werfen Obligationen allerdings kaum mehr einen Ertrag ab. Schlimmer noch: Die sichersten Anleihen rentieren zum Teil überhaupt nicht mehr. So lag die «Rendite» einer Obligation der Eidgenossenschaft mit zehn Jahren Laufzeit bis letzte Woche bei –0,15 Prozent. Zum Vergleich: In den 1990er-Jahren betrug diese Rendite noch durchschnittlich 4,8 Prozent. Kriegte eine Pensionskasse also vor zwanzig Jahren noch 48 000 Franken pro angelegte Million, musste sie nun 1500 Franken dafür bezahlen.

Wer spart, legt heute also drauf. Wer Sicherheit will, bezahlt dafür. «Heutzutage müssen die Investoren verstehen, dass die Kosten für eine garantierte Rendite so hoch sind, dass sie die Anlageerträge untergraben», sagt Charles Relecom, CEO von Swiss Life Frankreich. 

So beträgt die Rendite einer 10-jährigen Bundesanleihe in Deutschland derzeit nur noch knapp 0,5 Prozent. Mitte der 1990er-Jahre waren es noch zwischen 6 und 7 Prozent. Ein analoges Bild zeigt sich in Frankeich: Dort sind es heute etwas über 0,8 Prozent und Mitte der 1990er-Jahre waren es zwischen 7 und 8 Prozent.

Relecom
Die Investoren müssen verstehen, dass die Kosten für eine garantierte Rendite so hoch sind, dass sie die Anlageerträge untergraben.

Umverteilung von jung zu alt

Der Kapitalmarkt verabschiedet sich als «dritter Beitragszahler» folglich zusehends. Für Pensionskassen und Versicherungen wird es immer teurer und risikoreicher, eine ausreichende Rendite zu erwirtschaften, um ihre Verpflichtungen – also die Rentenzahlungen – decken zu können. Höhere Erträge sind nur mit höherem Risiko zu haben. Das höhere Anlagerisiko tragen allerdings allein die aktiven Arbeitnehmer, denn die Rentner erhalten garantierte Altersleistungen.

Schon heute übersteigen in der Schweiz die versprochenen Leistungen die Einnahmen. «(...) Zu hoch angesetzte Umwandlungssätze und technische Zinssätze führen (...) zu einer Umverteilung zwischen den Generationen», heisst es in einer vor kurzem veröffentlichten Studie der Credit Suisse.

So schätzt die Bank, dass im Jahr 2015 rund 5,3 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentnern umverteilt wurden. Bei rund vier Millionen aktiv Versicherten in der Schweiz sind das 1300 Franken pro Kopf und Jahr. Wir leben also bereits auf Kosten der kommenden Generationen. Eine Konsequenz: «Man muss mit Zins- und Rentenversprechen künftig viel vorsichtiger sein», sagt Marc Brütsch, Chefökonom von Swiss Life.

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Wir richten uns darauf ein, dass wir noch gut zehn Jahre mit sehr niedrigen Zinsen zu leben haben.

Niedrigzinsen wird es noch sehr lange geben

Der dritte Beitragszahler dürfte sich noch für sehr lange Zeit nicht mehr zeigen. «Wir richten uns darauf ein, dass wir noch gut zehn Jahre mit sehr niedrigen Zinsen zu leben haben», erklärt Marc Brütsch.

Laut Brütsch ist die weitherum herrschende Ansicht falsch, das derzeitige Niedrigzinsumfeld sei in der Geschichte einzigartig. Historisch gesehen, habe es immer wieder ausgedehnte Phasen mit niedrigen Zinsen gegeben. Brütsch verweist etwa auf die Renditen britischer Staatsanleihen seit 1751. Sie stellen, was Anleihen betrifft, eine der ältesten Zeitreihen dar, und sie haben auch für die Entwicklung in Kontinentaleuropa Aussagekraft.

Was auch gegen eine baldige Trendumkehr spricht: So lange die Staatsverschuldung in den Industrieländern hoch bleibt, haben die Regierungen grosses Interesse daran, die Zinsen tief zu halten. Sie kommen so zum einen günstig zu neuen Krediten. Und zum andern können sie die bestehenden Staatsschulden leichter finanzieren.

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