Lorenzo Wienecke und Juri Galkin erklären jungen Menschen die Finanzwelt. Wie kamen sie dazu? Wie befähigt man 16-Jährige zu selbstbestimmten Finanzentscheidungen? Und wie motiviert man Schülerinnen und Schüler zum Sparen fürs Alter?
Seit 2019 veranstalten Sie an den Schulen sogenannte Zukunftstage – eintägige Crashkurse zu den Themen Steuern, Finanzen, Krankenkasse und erste eigene Wohnung. Wäre das nicht Aufgabe der Schulen?
Galkin: Absolut. Tatsache ist aber, dass dies nicht geschieht. Die Themen Wirtschaft und Geld werden in der Schule kaum oder gar nicht behandelt. Die letzte Schufa-Studie hat gezeigt: Drei Viertel aller jungen Erwachsenen zwischen 16 und 25 Jahren in Deutschland haben überhaupt nichts über Finanzen gelernt. Und 93 Prozent hätten gerne mehr Finanzbildung in der Schule. In anderen europäischen Ländern ist die Situation ähnlich.
Wie kamen Sie auf die Idee, etwas dagegen zu tun?
Wienecke: Auslöser war der viral gegangene Tweet einer Gymnasiastin, die 2015 schrieb: «Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In vier Sprachen.» Damit trat sie eine breite Diskussion über die Nützlichkeit von Schulwissen los. Zwei Jahre später lernten Lorenzo und ich uns auf einer Party kennen. Wir beschlossen gemeinsam, etwas dagegen zu tun, und entwickelten die Idee des Zukunftstages. Geld sollte endlich zum Thema gemacht werden.
Müssten nicht einfach die Eltern mehr mit ihren Kindern über Geldthemen sprechen?
Galkin: Die Realität ist, dass auch viele Eltern wenig bis gar kein Finanzwissen haben. Meine Mutter beispielsweise hat als Alleinerziehende und Köchin drei Kinder grossgezogen. Sie konnte mir zeigen, wie man die beste Carbonara kocht. Aber nicht, wie die optimale Altersvorsorge funktioniert oder wie ich die Steuererklärung ausfüllen muss.
Wienecke: Wer die Finanzbildung dem Elternhaus überlässt, verstärkt bestehende soziale Unterschiede. Dabei ist Finanzwissen ein wichtiges Handwerkzeug, um im Leben erfolgreich zu sein. Der Erwerb darf darum nicht von Glück oder Zufall abhängen. So wie wir in der Schule das Grundlagenwissen in Mathematik oder Deutsch erlernen, sollten auch Basiskenntnisse zu finanziellen Themen vermittelt werden.
Wurden Sie von den Schulen mit offenen Armen empfangen?
Galkin: Im Gegenteil. Das Feld der ausserschulischen wirtschaftlichen Bildung war verbrannt. Solche Ideen wurden als trojanisches Pferd betrachtet, als ein Versuch der Firmen, in den Schulen ihre Produkte oder Dienstleistungen zu platzieren. Dementsprechend gross war die Skepsis der Schulleitungen. Wir haben in unserer Heimatstadt Kassel an allen 17 Oberstufen unser Konzept vorgestellt und wurden von jeder Schule verjagt. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis sich ein Schulleiter traute, uns eine Chance zu geben. Unser grosser Vorteil ist, dass wir unabhängig und eine gemeinnützige Organisation sind.
Inzwischen sind Sie nicht nur in ganz Deutschland unterwegs, sondern auch in Österreich und der Schweiz. Allein 2023 erreichten Sie damit 50 000 Schülerinnen und Schüler. Wie steht es um deren finanzielle Zuversicht?
Wienecke: Wir erleben die Jungen als sehr interessiert, aber auch als sehr verunsichert. Unsicher, was ihre eigene finanzielle Zukunft betrifft, gerade auch angesichts der Inflation. Und weil sie sich in Finanzfragen schlecht auf das Erwachsenenleben vorbereitet fühlen. Das grösste Problem ist die Überforderung. Finanzielle Themen werden in ihrer Komplexität meist überschätzt. Die Leute denken oftmals, dass sie ganz viel über die Börse wissen und jeden Tag die Wirtschaftsnews lesen müssen, wenn sie sich mit Finanzmarktthemen auseinandersetzen wollen. Das lähmt. Viele junge Menschen fühlen sich wie Marienkäfer, die auf dem Rücken liegen. Wenn man sie aber auf die Beine stellt und ihnen zeigt, wie man Schritt für Schritt loskrabbelt, dann ist es gar nicht so schwer. Genau das versuchen wir mit unseren Crashkursen zu tun.
Wie funktioniert das konkret?
Wienecke: Die meisten Jugendlichen sehen eine Gehaltsabrechnung zum ersten Mal, wenn sie selbst einen Job haben, und einen Mietvertrag bei der ersten eigenen Wohnung. Von Steuern, Versicherungen, Sparen und Anlegen haben sie keine Ahnung. Von uns bekommen die Jungen nicht Theorie, sondern Hands-on-Wissen vermittelt. Möglichst konkret, spielerisch und nahe an ihrer Lebenswelt. Wir versuchen, ihnen zu vermitteln: «Habt keine Angst vor Geldthemen. Finanzwissen macht euch selbstbestimmter.»
Wo besteht der grösste Informationsbedarf?
Galkin: Zum einen beim Thema Überschuldung. Bei unseren Projekten erfahren wir oft von tragischen Schicksalen. Kaum sind sie 18, haben viele Junge schon einen Handyvertrag und ganz viel auf Rechnung bestellt, sodass sie in kürzester Zeit enorm verschuldet sind. Deshalb klären wir über die sogenannten «Buy now, pay later»-Angebote auf, die immer verbreiteter sind. Die grössten Wissenslücken betreffen jedoch den Kapitalmarkt.
Inwiefern?
Wienecke: Hier manifestieren sich zwei gegensätzliche Tendenzen, die beide die finanzielle Zukunft der Jungen gefährden: Zockerei und totale Verweigerung. Boomende Trading Apps wie Trade Republic oder Robinhood machen es ihnen leicht, via Smartphone mit Aktien zu handeln oder mit Kryptowährungen zu spekulieren. Viele Schülerinnen und Schüler sind anfällig für solche Produkte, die schnellen Reichtum versprechen, und sind sich der Risiken nicht bewusst, die diese mit sich bringen. Dem versuchen wir entgegenzuwirken, indem wir aufzeigen, wie richtiges Investieren funktioniert und was Spekulation ist.
Und wie begegnen Sie den Verweigerern?
Galkin: Wir versuchen, ihre Vorurteile und ihre irrationalen Ängste abzubauen. In Deutschland partizipieren über 80 Prozent der Menschen nicht am Kapitalmarkt, diese Skepsis überträgt sich auch auf die Jugend. Das können wir uns nicht leisten, denn wer eine vernünftige Rente haben will, muss frühzeitig an Vorsorge denken. Indem wir den Jungen diesen Mechanismus erklären und sie über Aktien und Fonds aufklären, können wir am meisten bewirken.
Wie überzeugt man junge Menschen vom Sparen im Alter? Es gibt wohl kein Thema, das weiter weg ist von ihrem Lebensgefühl.
Wienecke: Wir beginnen mit der persönlichen Situation und sagen: «Überleg dir mal, wie du im Alter gerne leben und was du noch unternehmen möchtest.» Dann lassen wir die Jugendlichen ausrechnen, welche Rente vom Staat zu erwarten ist, wenn sie ein Leben lang arbeiten. Diese liegt in Deutschland knapp über dem Existenzminimum. Sie glauben gar nicht, wie überrascht 16-Jährige sind, wenn sie das begreifen und mit dem Lebensstil ihrer Grosseltern vergleichen. Im zweiten Schritt zeigen wir ihnen die Dringlichkeit auf, fürs Alter vorzusorgen.
Wie machen Sie das?
Galkin: Wir erklären, warum der entscheidende Faktor bei der Altersvorsorge die Laufzeit ist, und reden viel über den Zinseszins. Das ist der Teil, der allen am meisten Spass macht, denn der Effekt des Zinseszinses ist sowohl verständlich als auch faszinierend. Und zuletzt zeigen wir auf, dass es gar nicht so kompliziert ist, einen Sparplan zu machen, und dass man auch nicht Millionär sein muss, um in Aktien zu investieren. Dafür reichen bereits 25 Euro im Monat. Ist dieser Dreiklang «Bewusstsein, Dringlichkeit und Realisierbarkeit» einmal angekommen, dann wird gespart.
Eben ist Ihr Buch «Dein Crashkurs fürs Leben» erschienen. Wie lauten Ihre drei wichtigsten Botschaften an die jungen Menschen?
Galkin: Erstens: Setzt euch mit Produktivkapital auseinander! Um eure Altersvorsorge zu sichern, müsst ihr mehr aus eurem Geld machen. Zweitens: Achtet darauf, mit eurem Geld zurechtzukommen! Gebt nur das aus, was ihr habt. Und drittens: Machen statt meckern! Lasst euch nicht erzählen, wie viel man beim Investieren falsch machen kann, sondern seid mutig und probiert aus. Oder frei nach Fussballtrainer Jürgen Klopp: «Habt mehr Lust, zu gewinnen, als Angst, zu verlieren.»
Images: © IWJB gGmbH
Lorenzo Wienecke und Juri Galkin
Lorenzo Wienecke (27) und Juri Galkin (25) haben die «Initiative für wirtschaftliche Jugendbildung» gegründet und 2019 den Zukunftstag ins Leben gerufen, einen Projekttag zur finanziellen Bildung an Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (hier unter dem Namen «Durchstartertag»), der jedes Jahr mehrere Zehntausend Jugendliche auf den Start ins Erwachsenenleben vorbereitet. Ausserdem sprechen sie im Podcast «Young Economist» mit erfolgreichen Managern über Karrierewege. Kürzlich erschien ihr Buch «Dein Crashkurs fürs Leben. Alles, was du über Finanzen, Versicherungen, Steuern und Miete wissen solltest» (FinanzBuch Verlag).