Wie denken die Jungen über die Generationendebatte und die Altersvorsorge? Ist gar eine Radikalisierung der Millennials zu erwarten? Welche Reformen braucht es? Antworten von Wolfgang Gründinger: Der 32-jährige Buchautor und Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen gilt in Deutschland als «Anwalt der Jugend».
Herr Gründinger, in Ihren Büchern und TV-Auftritten fordern Sie mehr Generationengerechtigkeit. Was läuft schief?
Wir leben heute auf Kosten der Jugend. Auf meine Generation rollt durch die Staatsüberschuldung und die Überalterung der Bevölkerung eine gigantische Kostenlawine zu. Allein in Deutschland summieren sich die Pensionskosten bis zum Jahr 2050 auf etwa eine Billion Euro. Kommt hinzu: Weil die Älteren immer mehr werden, laufen die Industrieländer Gefahr, Rentnerdemokratien zu werden, wo die Interessen der jungen Menschen unter den Tisch fallen.
Ist es zielführend, wenn Sie jetzt Jung und Alt gegeneinander ausspielen?
Aber genau das wird gemacht. Eine rhetorische Floskel, die dazu instrumentalisiert wird, um den Jungen zu sagen, sie sollen sich nicht beschweren. Gleichzeitig wird das Geld für die Älteren ausgeschüttet und den Jungen wird es gekürzt.
Von Rentnern werden Sie wegen Ihrer Kritik teilweise aufs Heftigste beschimpft. Woher kommt diese Wut?
Viele nehmen die Rentendebatte sehr persönlich und betrachten die Diskussion als einen Angriff auf ihre Lebensleistung. Zum anderen ist es aber auch eine knallharte Verteilungsfrage und man möchte seine Pfründe verteidigen.
Haben Sie Verständnis dafür?
Natürlich. Die heutigen Rentner haben ein Leben lang hart gearbeitet und sollen ihren Ruhestand abgesichert geniessen. Aber ich wünschte mir offenere Ohren. Da jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, muss man sich gut überlegen, wohin er fliessen soll. Soll er in Kinderbetreuung gehen? In zukunftsfähige Infrastruktur? Oder soll er für Extra-Renten ausgeschüttet werden? Diese Balance müssen wir besser wahren. Momentan geht es nur in die eine Richtung: Die Älteren gewinnen.
Realisieren die Millennials, also jene Generation, die nach 1980 geboren wurde und nun in die Arbeitswelt eintritt, diese Umverteilung von Jung zu Alt überhaupt?
Die Botschaft, dass wir es im Alter schwieriger haben werden, ist angekommen. Viele glauben nicht mehr an eine einigermassen anständige Pension – das Vertrauen in unser Rentensystem ist verloren gegangen. Wir müssen höhere Rentenbeiträge einzahlen, kriegen aber weniger Rente. Gleichzeitig müssen wir mehr privat vorsorgen und das in einer Phase von Niedrigzinsen und stagnierenden Löhnen. Das ist – salopp ausgedrückt – ein ziemlich mieser Deal.
Laut einer Umfrage von Swiss Life zum Thema «Generationensolidarität» gehen 70 Prozent der Millennials davon aus, dass diese Umverteilung Konflikte verursachen wird. Sehen Sie dafür erste Anzeichen?
Derzeit nicht. Es dominieren Resignation und Fatalismus. Da eh keine Rente mehr erwartet wird, gibt es auch nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Hinzu kommt, dass die Jungen im Alltag ganz andere Sorgen haben als die Rente. Sie kämpfen um einen Studienplatz, eine bezahlbare Wohnung, einen Job, der zumindest einigermassen anständig bezahlt ist. All diese Dinge sind prioritär.
Droht die Generation Y, wie die Millennials auch genannt werden, zur Generation «Altersarmut» zu werden?
Sicher nicht die ganze Generation. Es gibt auch eine privilegierte, akademische Schicht, die von der Digitalisierung mit gutbezahlten Jobs profitiert. Aber der Mehrheit, den vielen Teilzeitangestellten und Geringverdienern, droht ein Ruhestand in prekären finanziellen Verhältnissen.
Was tun? Sollen die jungen Leute aus dem Generationenvertrag aussteigen? Laut erwähnter Swiss Life-Umfrage sind bereits 30 Prozent der Millennials nicht mehr bereit, die älteren Menschen zu finanzieren.
Diese hohe Zahl überrascht mich. Denn bisher finanzieren auch die Millennials noch bereitwillig die Älteren. Umso mehr ist das ein Alarmzeichen. Ein dringender Appell, dass man den Jungen die Sicherheit gibt, dass sie finanziell nicht überfordert werden und auch im eigenen Alter noch auf eine angemessene Rente zählen dürfen. Aber ein Ausstieg wäre der falsche Weg. Wir brauchen kein Ende des Generationenvertrages, sondern dessen Erneuerung. Das Umlageverfahren muss ergänzt werden.
Durch mehr Eigenverantwortung und eine verstärkte private Altersvorsorge?
Wer es sich leisten kann, ist damit gut beraten. Für viele ist das aber eine Illusion. Auf dem europäischen Arbeitsmarkt ist die Jugend von Arbeitslosigkeit und von Mindestlöhnen am stärksten betroffen. Die meisten haben gar keine Chance, monatlich etwas in die private Altersvorsorge einzuzahlen, schon gar keine substantiellen Beträge. Die individuelle kapitalgedeckte Vorsorge als Rettungsanker ist deshalb weder sinnvoll noch realistisch.
Wie lautet Ihr Vorschlag?
Momentan werden die Pensionen durch Beiträge der angestellten Erwerbstätigen finanziert. Wir leben aber in einem Zeitalter von prekärer Arbeit. Wenn dazu noch Massenarbeitslosigkeit herrscht und die Löhne stagnieren, dann kommt unser Pensionssystem in Bedrängnis. Diesen zentralen Konstruktionsfehler gilt es zu beseitigen, indem wir auch Einkommen ausserhalb der abhängigen Beschäftigung mit einbeziehen, also Gewinn- und Kapitaleinkommen, Vermögenseinkommen oder Mieteinkünfte.
Ist das nicht unrealistisch? Es gibt doch sehr viele Einzelinteressen, die dagegen sprechen.
Die drohende Krise des Pensionssystems ist absolut gravierend. Da braucht es eine radikale Lösung. Alle müssen in dieses System einbezogen werden. Einen anderen Ausweg sehe ich nicht.
Und das Rentenalter muss erhöht werden?
Es sollte an die Lebenserwartung gekoppelt werden. In Deutschland, dem nach Japan zweitältesten Land der Welt, würde es dann 2030 bei 67 liegen, 2050 bei etwa 70. Umso wichtiger ist es, dass wir das Erwerbsleben reformieren. Denn auch hier wächst die Generationenungerechtigkeit.
Inwiefern?
Erst kürzlich berichtete eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass die Lohnlücke zwischen Alt und Jung– der so genannte Generational Pay Gap – wächst. Vor 30 Jahren betrug der Unterschied noch 10 Prozent, heute sind es 25 Prozent. Und ein Bericht der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen dokumentierte detailliert, dass der Arbeitsmarkt die junge Generation benachteiligt: Über die Hälfte der jungen Beschäftigten arbeitet in Deutschland zu Niedriglöhnen. Die Leiharbeit [in der Schweiz Temporärarbeit genannt, Anm. d. Red.] hat sich unter jungen Beschäftigten nahezu verdoppelt und fast jeder zweite Berufsanfänger hat nur eine Anstellung mit Ablaufdatum. Gerade einmal 28 Prozent der unter 35-Jährigen verdienen mehr als 2500 Euro brutto – das ist kein Gehalt, von dem man auch nur annähernd eine Familie ernähren kann.
Wie wird der Arbeitsmarkt gerechter?
Das Senioritätsprinzip gehört endlich beseitigt. Es wurde zwar durch die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU abgeschafft, aber faktisch gilt es immer noch. Was wir dringend brauchen sind höhere Einstiegsgehälter und dafür einen flacheren Lohnanstieg im Laufe des Alters.
In Ihrem neuesten Buch «Alte-Säcke-Politik» verlangen Sie das Wahlrecht für alle. Wieso?
Die Jungen sind auf Dauer die Dummen und müssen fürchten, dass die Politiker keinen gerechten Ausgleich schaffen. Die üben sich lieber im Schmusekurs gegenüber den heutigen Rentnern, als die nötigen Reformen anzugehen. Und Abstimmungen werden zunehmend durch den demografischen Wandel geprägt. Vor allem in kulturellen und sozioökonomischen Fragen unterscheiden sich die Positionen der Generationen.
Das hiesse, dass auch 6-Jährige wählen können – das klingt absurd.
Warum denn? Das Wahlalter ist ja auch nach oben offen. Allein in Deutschland haben wir eine Million demente Menschen, die in der Regel wählen dürfen. Aber diejenigen, die ihr ganzes Leben lang die Folgen politischer Entscheidungen zu tragen haben, verfügen über keine Stimme. Man kann auch über ein offizielles Wahlalter ab 16 nachdenken. Aber jeder, der jünger ist, wählen möchte und dies beantragt, sollte eine Stimme bekommen.
Aber selbst dann wären die Älteren noch in der Mehrheit.
Richtig. Schlussendlich ist klar: Allein kann es die junge Generation nicht schaffen, die Gesellschaft enkeltauglich zu machen. Sie ist zu klein, zu zersplittert, zu ressourcenschwach. Deshalb brauchen wir die Älteren als mächtige Bündnispartner. Ohne sie wird es nicht gehen.
Ausgewählte Bücher
Von Wolfgang Gründinger sind insgesamt sieben Bücher erschienen. Im Mittelpunkt seiner Publikationen stehen die Themen Demokratie, Rentensystem und Nachhaltigkeit mit dem Fokus auf Generationengerechtigkeit. Seine wichtigsten Werke sind:
- «Aufstand der Jungen – Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können.» (C.H. Beck, München 2009)
- «Wir Zukunftssucher. Wie Deutschland enkeltauglich wird.» (Körber, Hamburg 2012)
- «Alte-Säcke-Politik. Wie wir unsere Zukunft verspielen.» (Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016)
Wolfgang Gründinger
Demokratist und Publizist
Wolfgang Gründinger (32) ist Demokratieforscher und Publizist mit den Schwerpunkten Energiepolitik, Lobbyismus, Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Er ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Think Tank 30, der jungen Denkfabrik des Club of Rome. Sein Engagement für die Rechte der Jugend brachte ihm den Ruf als «Anwalt der Jugend» ein. Für sein Schaffen wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis für politische Publizistik, dem Deutschen Studienpreis und dem Generationengerechtigkeitspreis. Er lebt als Autor, Aktivist und Analyst in Berlin.