Die Zeitschrift am Kiosk und den Grosseinkauf im Supermarkt können wir heute innert Sekunden kontaktlos mit der Karte oder mit dem Mobiltelefon begleichen. Miete und Elektrizitätsrechnung werden im E-Banking im Nu bezahlt. Hat das Bargeld damit ausgedient? Die Ökonomen Martin Brown und Arina Wischnewsky skizzieren ihre Zukunftsaussichten im Gespräch.
Statistiken zeigen, dass in den meisten Ländern immer weniger Bargeld gebraucht wird. Wie werden wir in zehn Jahren bezahlen?
Brown: Ich bin überzeugt, dass wir auch in zehn Jahren noch Bargeld und physische Bezahlkarten mit uns tragen werden. Die Nutzung von Bargeld wird zwar stark abnehmen, aber nicht verschwinden. Eine Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten, die bereits heute ausschliesslich digital bezahlen, tragen trotzdem noch Bargeld bei sich. Dies als Reserve, falls elektronische Zahlungen nicht funktionieren. Möglich wäre auch, dass in Zukunft «Cash»-Karten wie Prepaid- oder Geschenkkarten anstelle von Banknoten als «Notgroschen» im Portemonnaie mitgeführt werden.
Und wenn wir einen Blick in die fernere Zukunft werfen?
Brown: Mit was wir in 30 oder 50 Jahren bezahlen werden, darüber können wir mit unserem heutigen Wissen nur spekulieren. Etwas ist für mich aber klar: Es wird ein Gegenstand sein, den wir im Alltag sehr regelmässig gebrauchen und deshalb ständig bei uns tragen. Das könnte eine Brille, ein Ring, eine Uhr oder tatsächlich immer noch das Handy sein.
Wischnewsky: Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Bargeld auch noch in 50 Jahren existieren wird, denn es besitzt mehrere Eigenschaften, die von keiner anderen Zahlungsmethode vollständig ersetzt werden können. Bargeld ist universell akzeptiert, offline-fähig und gebührenfrei. Es trägt zur finanziellen Inklusion bei, schützt vor Cyberrisiken und dient als wertstabile Anlage unabhängig von Dritten. Seit dem Ende der Tauschwirtschaft ist Bargeld darum ein wichtiger Bestandteil wirtschaftlicher Transaktionen geblieben.

Was sagen die Statistiken zur Bargeldnutzung?
Wischnewsky: Die Zahlen sind eindeutig: Die Nutzung sinkt, wenn auch langsam. In meiner Forschungsarbeit bin ich aber auf ein kurioses Phänomen gestossen: Obwohl Menschen immer mehr alternative Zahlungsmethoden nutzen, steigt die Gesamtmenge des Bargelds im Umlauf weiter an. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist Japan, eines der technologisch fortschrittlichsten Länder der Welt. Es war das erste Land, das den QR-Code für Transaktionen entwickelte und den mobilen Handel etablierte. Dennoch bleibt Japan eine der bargeldintensivsten Volkswirtschaften: Der Anteil der Geldmenge im Umlauf (Currency in Circulation, CiC) am nominalen BIP liegt in Japan bei über 20%. Dabei werden rund 40% des Bargelds in Form von Banknoten gehortet. Schweden dagegen befindet sich am anderen Ende des Spektrums: Das Verhältnis von CiC zum BIP ist dort auf etwa 1% gesunken. Das macht Schweden zu einer der bargeldärmsten Gesellschaften der Welt.

Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?
Wischnewsky: Ich denke, es geht hierbei nicht nur um die Technologie, sondern auch um tiefer liegende gesellschaftliche Werte. Soziales Vertrauen, Risikobereitschaft und Datenschutzbedenken beeinflussen stark, wie verschiedene Länder mit digitalen Zahlungsmethoden umgehen. Skandinavien – und mittlerweile auch China – haben weltweit die höchsten Werte an generellem sozialem Vertrauen. Währenddessen weisen Deutschland und Japan niedrigere und teils sinkende Vertrauenswerte auf und haben grössere Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Der Bezahlvorgang ist stark von Gewohnheiten geprägt. Sprich, warum soll ich anders als gewohnt bezahlen, wenn ich für mich darin keinen Vorteil sehe?
Was braucht es denn, um solche Gewohnheiten zu ändern?
Brown: Das Anstehen am Bank- oder am Postschalter für Einzahlungen ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Niemand wartet gerne am Schalter. Also haben sich die meisten Menschen das schnell abgewöhnt, sobald sich bequemere und schnellere Bezahlmöglichkeiten etabliert haben. Und auch Netzwerkeffekte spielen hier eine wichtige Rolle: Je verbreiteter eine Dienstleistung ist – wie zum Beispiel mobile Bezahlapps – beziehungsweise je mehr Menschen in meinem Umfeld sie nutzen, desto eher bin ich bereit, meine bisherige Gewohnheit aufzugeben.
Wearables oder Implantate, also tragbare Bezahlmöglichkeiten oder im Körper implantierte Chips, wären auch eine Möglichkeit. Was halten Sie davon?
Wischnewsky: Ob solche Eingriffe in den Körper tatsächlich notwendig sein werden, ist für mich fraglich. Ich sehe in denen keine grossen Vorteile im Vergleich zu Mobile-Apps oder kontaktlosen Bezahlkarten. Mit der Verbesserung biometrischer Authentifizierungssysteme wird das Bezahlen per Gesichtserkennung hingegen bereits Realität. In Ländern wie China oder Russland kann man im öffentlichen Nahverkehr oder beim Einkaufen bereits mit einem Blick in die Kamera bezahlen. In Staaten mit stärkeren Datenschutzbedenken hingegen stösst diese Technologie auf grossen Widerstand.

Digitale Zahlungen hinterlassen Datenspuren. Hemmt dies Menschen daran, digital zu bezahlen?
Brown: Ich sehe nicht, dass die Angst vor Datenspuren das Bezahlverhalten der Menschen gross beeinflusst. Umfragen zeigen denn auch, dass bei der Wahl der Zahlungsmethode Anonymität deutlich weniger wichtig ist als Faktoren wie Sicherheit, Geschwindigkeit oder Benutzerfreundlichkeit.
Falls wir in Zukunft überwiegend digital bezahlen, wie könnte sichergestellt werden, dass das System bei gröberen Pannen noch funktioniert?
Brown: Das Risiko für Ausfälle und Angriffe ist heute schon da. Das Funktionieren von Kassensystemen, Bankomaten etc. ist vom Internet wie auch vom Stromnetz abhängig. Wahrscheinlich hat jeder schon mal erlebt, dass die Kassen im Supermarkt aufs Mal nicht funktionierten. Für Stromausfälle gibt es in Ländern mit unzuverlässigem Stromnetz Notstromaggregate. Und sollte mal gar nichts mehr gehen – da bin ich ein wenig nostalgisch –, könnte man es doch im Laden aufschreiben lassen und später bezahlen, wie in den «guten» alten Zeiten.
Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Menschen bezüglich Zahlungsverhalten?
Brown: Durchaus. Der Anteil von Mobile-App-Zahlungen ist bei jungen Erwachsenen dreimal so hoch wie bei Personen im Pensionsalter. Auffallend ist auch der Unterschied in Bezug auf das Einkommen: Bei Personen mit hohem Einkommen ist der Anteil doppelt so hoch wie bei jenen mit tieferem Einkommen. Das hängt einerseits mit ihrer grösseren Technologieaffinität zusammen, andererseits aber auch mit dem unterschiedlichen Konsumverhalten, da Menschen mit höherem Einkommen tendenziell höhere Beträge ausgeben.

Verleiten digitale Zahlungsmöglichkeiten die Menschen dazu, zu viel Geld auszugeben oder sich leichtfertiger zu verschulden?
Brown: Entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist keineswegs bewiesen, dass bargeldloses Bezahlen zu leichtfertigem Kaufverhalten führen muss. In einer jüngst publizierten Studie haben wir zwar aufgezeigt, dass Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz im Alltag mehr Geld ausgeben, wenn sie häufiger mit Karten bezahlen. Aber: Dieses Muster ist nicht besonders ausgeprägt bei jungen Erwachsenen oder bei Personen mit tieferem Einkommen. Das ist wirklich erstaunlich. Stattdessen fanden wir einen Zusammenhang zwischen der Wahl des Zahlungsmittels und der Höhe der Ausgaben bei Personen mit höherem Einkommen. Es wäre sehr interessant, weiter zu erforschen, ob die Nutzung von bargeldlosen Zahlungsmitteln tatsächlich zu mehr Konsum führt – beispielsweise bei jungen Erwachsenen. In diesem Alter ändern sich die Umstände im Leben, man hat in der Regel mehr Einkommen und auch steigende Ausgaben. Wenn wir hier mehr wüssten, könnten wir solchen Fragen genauer nachgehen.
Welche Zahlungsmethoden bevorzugen Sie persönlich?
Wischnewsky: Ich bezahle praktisch immer mit meinem Handy. Zu Hause habe ich aber immer etwas Bargeld als Reserve.
Brown: Für mich stehen Schnelligkeit und Einfachheit im Vordergrund, und ich bezahle im Laden immer kontaktlos mit der Debitkarte. Für Online-Einkäufe nutze ich eine Schweizer Bezahlapp, die Bezahlung mit Kreditkarte empfinde ich als mühsam.

Martin Brown
Professor Martin Brown ist Direktor des Studienzentrums Gerzensee (Stiftung der Schweizerischen Nationalbank) und Titularprofessor für Finanzwirtschaft an der Universität St. Gallen. In seiner Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit Finanzentscheidungen von Konsumentinnen und Konsumenten sowie mit dem Bankwesen und der Geldpolitik.

Arina Wischnewsky
Arina Wischnewsky promovierte an der Universität Trier in Wirtschaftswissenschaften mit einem Forschungsschwerpunkt auf Makroökonomie, Finanzstabilität, Geldpolitik und Zahlungssysteme. In Ihrer Forschung untersucht sie u. a. das Zusammenspiel von Anreizstrukturen und Handelsverhalten und die Determinanten der Bargeldnutzung.