Gabriela Sabatini, eine der populärsten Sportlerinnen des 20. Jahrhunderts, wurde dieses Jahr 50. Die Argentinierin liebte das Tennis, aber hasste den Ruhm. Ein Gespräch über die Selbstbestimmung im Profisport und die Kunst, glücklich zu altern.
Sie wurden diesen Mai 50. Trifft es zu, dass die Glückskurve ein U ist und man sich ab Mitte 40 wieder glücklicher fühlt, wie die Glücksforschung behauptet?
Ich messe meinen Geburtstagen keine grosse Bedeutung zu, aber ja, ich bin heute glücklich. Natürlich geht das Alter nicht unbemerkt an mir vorbei, aber ich fühle mich sehr gut. Ich bin gesund und dankbar. Dankbar für das Erreichte und für das Leben, das ich heute lebe.
Es heisst, 50 sei das neue 30 – einverstanden?
Ich fühle mich tatsächlich wie ein junger Mensch, was auch an meinem Lebensstil liegt. Ich starte möglichst jeden Tag mit Sport – ich fahre gern Rad, gehe viel joggen und schwimmen – das reinigt und erdet mich. Auch sonst bin ich sehr aktiv und häufig auf Reisen. Das hilft, geistig jung zu bleiben.
Wird man mit zunehmendem Alter auch selbstbestimmter?
Absolut. Im Laufe der Jahre lernt man, Grenzen zu setzen und zu entscheiden, was einem gut tut. Ich bin wählerischer in dem, was ich mache, und treffe nur jene Menschen, mit denen ich wirklich zusammen sein will. Diese Selbstbestimmung ist sehr erfüllend und gibt dem Leben eine neue Tiefe.
Sie gehörten zu den Tennis-Wunderkindern und schafften es im Eiltempo an die Spitze. Mit 14 waren Sie die beste Juniorin der Welt, mit 15 standen Sie bei den Profis im Halbfinale der French Open. Hatten Sie manchmal das Gefühl einer verlorenen, fremdbestimmten Jugend?
Ich glaube, wenn man tut, was einem wirklich am Herzen liegt, dann fühlt man sich grundsätzlich frei. Aber es gab Momente, in denen ich mehr darauf fokussiert war, was die Medien und die Fans von mir erwarteten, als was ich selbst wollte. Und das war noch vor Social Media. Für die jungen Spieler ist dieser Druck heute noch viel grösser.
Sie gestanden später einmal, dass Ihnen der schnelle Ruhm zu schaffen machte.
Ja, zu Beginn meiner Profikarriere war ich wirklich sehr introvertiert und schüchtern, zudem sprach ich nur wenig Englisch, weshalb ich die Interviews mit den internationalen Medien als Tortur empfand.
Trifft es zu, dass Sie deswegen sogar absichtlich verloren haben, wie zu lesen war?
Nicht mit Absicht. Aber diese Angst hat mich konditioniert. Ich erinnere mich an Halbfinals, in denen ich plötzlich dachte: «Wenn ich jetzt ins Finale komme, dann muss ich wieder mit den Journalisten reden.» Und von diesem Moment an habe ich das Match quasi weggeworfen und verloren. Glücklicherweise wurde mit der Zeit der Wunsch, das Turnier zu gewinnen, stärker als diese Angst.
Ihre Karriere war geprägt von den epischen Duellen gegen Ihre ewige Rivalin Steffi Graf. Diese gewann 29 von 40 Matches und – was besonders schmerzte – elf von zwölf Grand-Slam-Matches. Entwickelt man da persönliche Aversionen oder gar Hassgefühle?
Ganz im Gegenteil. Steffi war ein Glücksfall für mich. Sie hat das Beste aus meinem Tennis herausgeholt und war neben dem Platz ein sehr feiner, zurückhaltender Mensch. Im Laufe der Jahre, als wir mit Spielen aufgehört hatten, hat sich eine Freundschaft entwickelt.
Vor genau 30 Jahren gelang es Ihnen, Steffi Graf im Finale der US Open zu besiegen. Was lief an jenem Tag anders?
Ich begann das, was ich mit meinem Trainer geübt hatte, anzuwenden und stürmte bei jeder Gelegenheit voller Entschlossenheit und Selbstvertrauen ans Netz. Dieser unbändige Offensivgeist verhalf mir schliesslich zum Sieg. Es war der wichtigste Moment in meiner Tenniskarriere. Nach all den Jahren der Anstrengungen und Hingabe ging mein Traum in Erfüllung. Ich hätte mir nie eine solche Freude und Befreiung vorstellen können und ich begann, das Tennis noch mehr zu geniessen.
Trotzdem verkündeten Sie sechs Jahre später – mit gerade einmal 26 Jahren – Ihren Rücktritt. Bereuen Sie es, so früh aufgehört zu haben?
Nein. Ich war damals bereits seit zwölf Jahren auf der Profitour und fühlte mich sehr müde und unmotiviert. Beim Aufwachen dachte ich: «Jetzt muss ich wieder trainieren, obwohl ich das gar nicht will.» Ich sprach mit einem Psychologen und mit der Zeit wurde mir klar: «Das wars.» Ich habe im Leben immer auf meine innere Überzeugung gehört – auch das bedeutet Selbstbestimmung. Und deshalb lebe ich in Frieden mit meinen Entscheidungen.
Viele Sportler tun sich mit dem Leben nach der Karriere enorm schwer. Fielen Sie ebenfalls in ein tiefes Loch?
Nein. Geholfen hat mir dabei, dass ich genau wusste, was ich nach der Sportkarriere tun wollte, nämlich meine Parfüm-Linie ausbauen und international bekanntmachen. Mein Vater, ein ehemaliger General-Motors-Manager, hat mich dabei unterstützt. Inzwischen gibt es unter meiner Marke auch Uhren und eine Modekollektion.
Leben heisst auch träumen. Welche drei Dinge wollen Sie in den nächsten zehn Jahren realisieren?
Ich bin nicht der Bucket-List-Typ. Ich wünsche mir einfach, auch künftig so frei zu leben wie heute. Und ich hoffe, bald wieder neue Orte bereisen zu können, Indien und Marokko reizen mich sehr.
Apropos Lebensziele: Wir werden immer älter. Finden Sie das hundertjährige Leben erstrebenswert?
Keine Ahnung, ob ich es bis hundert schaffe. Ich führe einfach ein gesundes Leben, weil ich mich gerne gut fühle. Und ich versuche, mein tägliches Leben zu geniessen. Vielleicht hat die Corona-Pandemie ja auch ihr Gutes: indem sie uns lehrt, dass wir nicht alles kontrollieren können und dass wir die Gegenwart, die Freiheit und unsere Freunde mehr wertschätzen sollten.
Gabriela Sabatini
Gabriela Sabatini feierte am 16. Mai 2020 ihren 50. Geburtstag. Die Tennislegende gewann 27 Turniere im Einzel und sie erreichte Platz drei in der Weltrangliste. Bei den US Open 1990 holte sie ihren einzigen Grand-Slam-Titel im Einzel. Mit Steffi Graf triumphierte die Argentinierin 1988 in der Doppelkonkurrenz in Wimbledon. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul gewann sie die Silbermedaille. Mit 26 Jahren beendete sie ihre Karriere und baute erfolgreich eine internationale Parfüm-Linie auf. In der Öffentlichkeit tritt Sabatini nur sehr selten in Erscheinung. Sie lebt hauptsächlich in Pfäffikon am Zürichsee, besitzt aber auch Häuser in Buenos Aires und Miami.
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