Er ist studierter Philosoph, Autor und einer der erfolgreichsten Schauspieler Europas. Ein Gespräch mit Mike Müller (61) über Geld und Vorsorge sowie Erben und Sterben.

Bild: © Timo Orubolo
Mike Müller, nur wenige Schauspieler in Europa weisen ein Palmares auf wie Sie: Über 500 ausverkaufte Bühnenshows, Hauptrollen in der Schweizer Erfolgsserie «Der Bestatter» und in über einem Dutzend Filme, Co-Gastgeber der erfolgreichsten Late-Night-Show der Schweiz, Drehbuch- und Theaterautor etc. Müssen Sie eigentlich noch arbeiten?
Ja. Zum Glück. Steven Spielberg sagte einmal: «I’m dreaming for a living.» (dt.: «Ich träume beruflich »). Das ist vielleicht etwas hoch gegriffen, aber ich übe meinen Beruf wirklich sehr gerne aus.

Das heisst, es ist noch lange nicht Schluss?
Bis 70 arbeite ich noch. Bis dann reicht mein Ehrgeiz.

Und was tun Sie danach?
Da habe ich noch keinen richtigen Plan. Ich stelle mir vor, dass ich mehr Zeit für meine Hobbys haben werde. Aber es gibt auch ein paar Theaterstücke, die ich schreiben möchte. Also doch wieder arbeiten (lacht).

Wissen Sie, wie viel Geld Ihnen nach der Pensionierung zur Verfügung stehen wird?
Ja, das weiss ich ziemlich genau. Ich bespreche meine finanzielle Situation regelmässig mit meinem Treuhänder und ich liess sie kürzlich von einem Finanzplaner prüfen: Es sollte reichen.

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Ich bespreche meine finanzielle Situation regelmässig mit meinem Treuhänder und ich liess sie kürzlich von einem Finanzplaner prüfen: Es sollte reichen.

Spricht man unter Künstlern eigentlich über Geld?
Sehr oft sogar. Nicht umsonst heisst es: «Banker sprechen am liebsten über Kunst, Künstler am liebsten über Geld.»

Na dann, reden wir über Geld. Wie viel verdienen Sie eigentlich?
Genug für ziemlich viel Luxus, also eigentlich zu viel. Aber zu wenig, um nur noch den ganzen Tag mit Freunden Weisswein zu trinken und «Blech zu schwätzen» (Anm. d. Red.: Unsinn erzählen).

Laut einer Jobplattform verdienen Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland im Durchschnitt zwischen 2600 und 4000 Euro pro Monat. In der Schweiz liegt das jährliche Durchschnittseinkommen bei knapp 30 000 Franken.
Das Geld in kreativen Jobs ist sehr ungerecht verteilt. Die Stars sahnen ab – die bekannten Kinoschauspieler verdienen auch mal 150 000 Euro für sechs Drehwochen –, dem Rest bleiben die Brosamen. Für die meisten freischaffenden Künstler ist es unmöglich, fürs Alter anzusparen. Kommt hinzu, dass sie in sehr unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen tätig sind und häufig auch noch in verschiedenen Ländern, sprich Rentensystemen – sie haben also überall ein bisschen angespart, aber nichts passt zusammen. Die Konsequenz: Viele laufen finanziell in den Hammer, wenn sie in Pension gehen.

Wann haben Sie begonnen, für die Altersvorsorge zu sparen?
Ende 30, seither kann ich Geld zur Seite legen. Damit gehöre ich zu den wenigen privilegierten Künstlerinnen und Künstlern.

Banker sprechen am liebsten über Kunst, Künstler am liebsten über Geld.

Was ist die grösste Ausgabe, die Sie je bereut haben?
Keine. Ich überlege sehr genau, bevor ich etwas Grösseres anschaffe. Am meisten Geld habe ich sicher für mein Motorboot ausgegeben, diesen Kauf habe ich mindestens ein Jahr geprüft. Und das Boot wird rege genutzt. Man kann ein bisschen darauf arbeiten, aber es ist eigentlich reiner Luxus.

Ist der Umgang mit Geld eine Frage der Erziehung?
Vermutlich schon. Meine Grosseltern waren Arbeiter, mein Vater war Lehrer und meine Mutter Schaufensterdekorateurin. Bei uns zu Hause wurde nicht nur viel politisiert, sondern auch über Sozialversicherungen und Geld gesprochen. So wusste ich immer, wie viel meine Eltern verdienten, und mir wurde vermittelt, dass das Geld nicht vom Himmel fällt. Später war ich in Theaterproduktionen involviert, die Geld verloren haben. Es braucht in unserer Branche wie auch anderswo viel Glück – und manchmal hat man halt auch Pech. Ab und zu ist man aber auch einfach selber schuld.

Womit haben Sie Ihr erstes eigenes Geld verdient?
Als Ausläufer bei einer Apotheke – heute würde man das Home Delivery nennen. Ich war 14 und bekam 7 Franken pro Stunde. Meine erste grössere Anschaffung war ein Motorrad.

Spielen Sie Lotto?
Nur, wenn der Jackpot voll ist. Irgendwie lächerlich, denn es fehlt mir an nichts und ich wüsste gar nicht, was ich mit dem Geld tun würde.

Spenden Sie?
Ja, relativ viel. Meistens für Projekte in Entwicklungsländern – Nothilfe, Bildungseinrichtungen, Spitäler, solche Dinge. Mich beeindrucken Menschen, die 10 Prozent ihrer Einnahmen spenden. So viel schaffe ich nicht.

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Selbstbestimmung ist ein wichtiger Faktor für unser Glück. Aber es ist wichtig, auch anzuerkennen, dass andere in manchen Dingen besser sind.

Sie verkörpern geradezu den Inbegriff der Selbstbestimmung: Sie sind selbstständig, schreiben Ihre Stücke zu einem grossen Teil selbst, stehen allein auf der Bühne und erledigen sogar das Booking mehrheitlich selber. Warum ist es Ihnen so wichtig, selbstbestimmt zu sein?
Wenn ich weiss, wie man etwas richtig macht, lasse ich mir ungern reinreden. Dann will ich selbst bestimmen, wo’s langgeht. Ich geniesse das. Und es ist ja auch erwiesen: Selbstbestimmung ist ein wichtiger Faktor für unser Glück. Aber es ist wichtig, auch anzuerkennen, dass andere in manchen Dingen besser sind.

Ein Sprichwort lautet: «Über Musik zu reden ist, wie Architektur zu tanzen.» Gilt das Gleiche auch für Humor?
Ja. Man kann Humor nur schwer beschreiben. Muss man einen Witz erklären, ist er tot.

Bitte lassen Sie es uns trotzdem probieren: Gibt es kulturelle Unterschiede in Sachen Humor?
Nein, guter Humor ist guter Humor. Die französische Komödie «Bienvenue chez les Ch’tis» bringt mich ebenso zum Lachen wie die deutsche Satiriker-Legende Loriot oder die US-Comedy-Show «Saturday Night Live».

Dann funktioniert Mike Müller also auch im Ausland?
Als Autor schon. Von mir mitgeschriebene Theaterstücke laufen auch in Köln oder Dresden sehr gut. Meine Soloprogramme hingegen würden nicht funktionieren.

Weshalb?
Weil ich dort urschweizerische Prototypen verkörpere, mit den unterschiedlichsten regionalen Dialekten. Dabei ist interessant: In der Schweiz ist der Dialekt nicht primär ein Merkmal der sozialen Schicht. Alle sprechen Dialekt – ob zu Hause oder bei der Arbeit. In Deutschland oder in Frankeich hingegen gibt es eine gepflegte Hochsprache und die Dialekte sind sogenannte «Soziolekte». Sie drücken Klassenunterschiede aus.

Ich finde das vielbeschworene 100-Jahre-Leben schwer überschätzt. Wenn schon ewig leben, dann wäre ich lieber ewig 40.

In Ihrem Solostück «Klassentreffen»* begegnen sich Menschen 40 Jahre nach dem Schulabschluss wieder, und der Abend endet im Drama. Was reizte Sie an diesem Stoff?
In meinem Alter beginnt man, über das Leben zu bilanzieren. Hat es geklappt mit den Kindern oder sind die völlig missraten? Wurden die beruflichen Träume verwirklicht? Will man mit der Partnerin alt werden oder ist Zeit für Neues? Das Leben verläuft für jeden anders und ein Klassentreffen ist der ideale Spiegel für diese unterschiedlichen Geschichten.

Nicht nur diesem Stück, sondern auch im letzten Programm «Erbsache» und in der TV-Serie «Der Bestatter» beschäftigen Sie sich mit Themen wie Altern und Sterben. Was finden Sie besonders lustig am Älterwerden?
Wenig. Es ist eher ein «Massaker», wie es der grossartige Autor Philipp Roth in «Jedermann» so fantastisch beschrieben hat – eine Abfolge von Krankheiten mit tödlichem Ende. Daher finde ich auch das vielbeschworene 100-Jahre-Leben schwer überschätzt. Wenn schon ewig leben, dann wäre ich lieber ewig 40. Künstlerisch gesehen finde ich den Tod aber spannender als das Älterwerden.

Warum?
Weil der Tod das ultimative Scheitern symbolisiert. Das ist todernst und es darf dabei nichts schiefgehen. Und genau das macht ihn für Komödien so geeignet.

Ein Beispiel bitte.
Als meine geliebte, uralte Grossmutter beerdigt wurde, hielt ein junger Vikar die Trauerrede. Unter dem Talar trug er brandneue Turnschuhe. Mitten in der Predigt stand mein kleiner Bruder auf, zeigte auf den Vikar und schrie: «Mama, schau! Adidas Roma!» Die ganze Trauergemeinde musste schallend lachen.

Nach dem Tod kommt das Erben. Im Stück «Erbsache» sagen Sie, das Testament sei die letzte Gelegenheit, seine Kinder zu ärgern …
Ja, das kann man so sehen. Ein Testament ist auch ein Misstrauensvotum, weil man seinen Nachkommen nicht zutraut, das selbst zu regeln.

Haben Sie sich schon Gedanken gemacht über Ihr Erbe?
Ja, ich habe mein Testament gemacht. Ich habe mir das gut überlegt, wichtige Schritte eingeleitet und Leute informiert.

Und wie sieht es mit dem künstlerischen Erbe aus?
Das ist mir schnurzegal. Ich bin Unterhaltungskünstler und sehe mich nicht als Dichter für die Ewigkeit. Ich verstehe mich eher als Autor von Gebrauchstexten.

*«Klassentreffen»: Spielzeiten und Tickets hier

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Mike Müller

Mike Müller (61) ist ein Schweizer Kabarettist, Schauspieler und Drehbuchautor. Seine Theaterstücke feiern auch in Deutschland Erfolge. Bekannt wurde er u. a. mit der Late-Night-Show «Giacobbo/Müller», der Hauptrolle in der Netflix-Serie «Der Bestatter» und Auftritten im Zirkus Knie. Mike Müller wurde unter anderem mit zwei Prix Walo als bester Schauspieler und mit dem Schweizer Fernsehfilmpreis ausgezeichnet. Derzeit ist er mit seinem Solostück «Klassentreffen» auf Tour. Müller hat Philosophie studiert und lebt in Zürich.

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