Seit seiner Weltraum-Mission setzt sich der deutsche Physiker und ehemalige Wissenschaftsastronaut Prof. Dr. Ulrich Walter dafür ein, Robotik und Künstliche Intelligenz der breiten Bevölkerung verständlich zu machen. Im Interview verrät er, wie viel Intelligenz tatsächlich in KI steckt, ob Roboter lügen können und wie Service-Robotik ein selbstbestimmtes Leben im Alter erleichtert.
War es ein Kindheitstraum von Ihnen, Astronaut zu werden?
Nein. Nicht, weil es mich nicht interessiert hätte. Aber ich bin in den 60er-Jahren aufgewachsen und damals war Raumfahrt eine Sache zwischen den Amerikanern und den Russen. Die Deutschen hatten damit noch überhaupt nichts zu tun. Ich liebe die Wissenschaft und wollte deshalb schon immer Physiker werden. Als ich dann allerdings im Fernsehen hörte, dass Deutschland Wissenschaftsastronauten suchte, da war für mich die Sache klar. Was gibt es denn besseres, als Wissenschaft im Weltraum zu betreiben? Ich habe mich sofort beworben.
Das klingt, als wären Sie eigentlich gerne mehr als einmal da hochgeflogen?
Ja, wenn Sie ein Ticket für mich haben, würde ich sofort wieder gehen (lacht). Ich würde jede Möglichkeit nutzen, nochmal ins Weltall fliegen zu können.
Herr Walter, vor rund 30 Jahren haben Sie zehn Tage im Weltall verbracht. Was ist Ihnen von dieser speziellen Reise am meisten geblieben?
Drei Dinge haben mich besonders beeindruckt. Zunächst der Start selbst – das unglaubliche Gefühl, innerhalb von nur 8 Minuten auf eine Geschwindigkeit von 28’000 Kilometer pro Stunde beschleunigt zu werden, und dann in 90 Minuten einmal die Erde zu umrunden. Ein weiterer Höhepunkt war zweifellos der Anblick unseres Planeten aus dem Weltraum. Und das dritte war das Gefühl der Schwerelosigkeit, das man auf der Erde einfach nicht nachempfinden kann. Zusätzlich möchte ich betonen, dass das Weltraumabenteuer auch mit einem enormen Arbeitsaufwand verbunden war.
Mit an Bord war damals ein Roboterarm, mit dem Sie das erste Robotik-Experiment im Weltraum durchgeführt haben. Was konnte so ein Roboterarm 1993?
Das war damals etwas völlig Neues. Die Idee war, dass die Astronauten nicht mehr zwingend selbst in den Weltraum mussten, um dort aufwendige Aussenbordeinsätze durchzuführen. Stattdessen sollten sie einen Roboterarm von innen steuern können – eine Methode, die mittlerweile auf Raumstationen erfolgreich angewendet wird. Das spart Zeit und Aufwand.
Dieser Roboterarm wird übrigens heute auch in der Industrie eingesetzt, als Weiterentwicklung und Kommerzialisierung des ursprünglichen Konzepts.
Sie selbst forschen an Ihrem Lehrstuhl für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München aktiv im Bereich «Service-Robotik». Was muss man sich darunter genau vorstellen?
Service-Roboter funktionieren anders als gewöhnliche Roboter. Ein konventioneller Roboter, wie er typischerweise in der Automobilproduktion eingesetzt wird, führt stets dieselbe präzise Bewegung aus, bis auf den Zehntel-Millimeter genau. Dadurch ist er beispielsweise in der Lage, Schweisspunkte äusserst präzise zu setzen, und das schneller und genauer als jeder Mensch. Wenn Sie sich einem solchen Roboter jedoch in den Weg stellen, wird es gefährlich, denn er kann nicht ausweichen oder anderweitig auf ungeplante Situationen reagieren. Service-Roboter dagegen besitzen diese Fähigkeit. Wenn ein solcher zum Beispiel am Fliessband Online-Einkäufe in Kisten verpackt, muss er ein Glas anders behandeln als einen Pullover. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es Service-Robotern, auch mit Menschen zu interagieren. Sie erkennen, wenn sie einen Menschen berühren, und stoppen dann sofort ihre Bewegung.
Hätten Sie vor 30 Jahren gedacht, dass die Service-Robotik heute da steht, wo sie ist?
Nein. Die Robotik hatte ihren Ursprung bereits in den Fünfzigerjahren und damals dachte man schon, dass man zehn Jahre später den ersten Roboter haben würden, der alles kann. Doch diese Vorhersagen stellten sich als unrealistisch heraus. Denn Robotik erfordert eben auch eine präzise Steuerung und die komplexe Mathematik dahinter. Heutzutage nutzen wir Künstliche Intelligenz, um bestimmte Bewegungsabläufe zu automatisieren, sodass sie nicht mehr explizit gesteuert werden müssen. Erst durch moderne Technologien ist es möglich geworden, einfache Roboterarme zu intelligenten Service-Robotern zu entwickeln.
Robotik und Künstliche Intelligenz werden im Volksmund oft synonym verwendet. Wie erklären Sie Laien den Unterschied?
Der Roboter an sich ist blöd wie sonst was. Er kann sich zwar bewegen, weiss aber nicht wie. Das Kommando dafür wird irgendwo in einem sehr leistungsfähigen Computer gegeben. Die Intelligenz sitzt also ganz woanders. Wir befinden uns zurzeit in einer Phase der Entwicklung, in der wir versuchen, die Intelligenz im Roboter selbst einzubauen. Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass unsere heutigen Rechner so viel Raum benötigen und Leistung verbrauchen, dass sie sich nicht wie beim Menschen in einem relativ kleinen Kopf unterbringen lassen. Das menschliche Gehirn ist da viel leistungsfähiger.
Wie definieren Sie Künstliche Intelligenz? Was unterscheidet sie von menschlicher Intelligenz?
Wir Fachleute sprechen lieber von «maschineller Intelligenz», was bereits andeutet, dass wir noch ganz weit entfernt sind von der menschlichen Intelligenz. KI versucht die Intelligenz des Menschen nachzuahmen, und zwar in all ihren Facetten. Diese umfasst weit mehr als nur logisch-mathematische Intelligenz; Menschen haben zum Beispiel auch soziale Intelligenz, räumliche Intelligenz oder Bewegungsintelligenz. Und davon ist Künstliche Intelligenz noch Lichtjahre entfernt.
Trotzdem existiert in der Bevölkerung noch eine grosse Skepsis oder sogar Angst vor KI…
Ja, die Angst in der Bevölkerung vor Künstlicher Intelligenz ist sehr gross, weil sie keiner versteht. Ich vergleiche KI gerne mit elektrischem Strom. Wir lernen früh, bloss nicht in die Steckdose zu fassen. Wer die Funktionsweise einer Steckdose aber einmal verstanden hat, der kann da durchaus reingreifen. Man muss nur wissen, wo man anfassen kann. Und genau so ist es auch mit KI. Wenn man versteht, wo die Grenzen von KI sind, wie sie arbeitet und warum sie wie antwortet, dann ist die Sache recht einfach. Man muss wissen, wann man KI trauen kann und wann sie flunkert oder halluziniert. Solange man das nicht versteht, hat man Angst. Nichtwissen erzeugt Angst.
Apropos flunkern; kann ein Roboter bewusst lügen?
Nein, weil Robotik kein Bewusstsein hat. Aber KI lügt beziehungsweise halluziniert, ohne es zu wissen. ChatGPT beispielsweise bezieht das ganze Wissen aus dem Internet und kann nicht beurteilen, was davon stimmt und was nicht. Wenn ich etwas genau wissen will, muss ich es darum selbst recherchieren und überprüfen.
Sie forschen auch im Bereich Geriatronik – ein Begriff, der sich aus Geriatrie, also Altersmedizin, und Robotik zusammensetzt. Welche Rolle spielen Robotik und KI bei der Unterstützung eines selbstbestimmten Lebens im Alter?
Die Geriatronik kann ältere Menschen zum Beispiel dabei unterstützen, länger in der eigenen Wohnung zu bleiben. Fühlt sich etwa eine Person plötzlich unwohl, so kann ein Roboter eine direkte Verbindung zu einem Arzt herstellen, der via Telerobotik eine erste Analyse machen, gezielt helfen und im Ernstfall den Notdienst alarmieren kann. Daneben kann ein Roboter auch bei Alltagsaufgaben unterstützen und zum Beispiel selbständig staubsaugen, die Zeitung holen oder einen Kaffee bringen. Mit einem Roboter kann man auch sehr gut Schach spielen, sich mit ihm unterhalten oder sogar mit ihm rumalbern. Und sobald der Roboter an seine Grenzen stösst, kann die menschliche Intelligenz im Hintergrund einspringen.
Wo stösst Robotik bzw. KI in diesem Bereich an ihre Grenzen?
Das Gesellschaftliche und das Zwischenmenschliche wird KI nicht ersetzen können. Für zwischenmenschliche Kommunikation ist zum Beispiel Mimik essenziell. Aber wie soll man einem Roboter Mimik beibringen? Zu einem herzlichen Lachen gehört ja nicht nur ein lächelnder Mund, sondern auch strahlende Augen und vieles mehr. So weit sind wir noch lange nicht.
Wo sehen Sie für Unternehmen das grösste Potenzial von KI?
Für Unternehmen ist KI perfekt geeignet, da jedes seine spezifische Nische hat, in der ein bestimmtes Fachwissen gefragt ist. Dieses Fachwissen lässt sich optimal in KI umsetzen. Man muss dafür nur sein eigenes KI-System mit Wissen füttern und trainieren. Dafür benötigt man einen äusserst leistungsstarken Computer und sehr viel Zeit für das Training. Wenn dann der eigene ChatGPT mit unternehmensspezifischem Wissen im Einsatz ist, hilft das enorm.
Wieviel KI und Robotik würden wir bei Ihnen zu Hause finden?
Oh, ich chatte fast täglich mit ChatGPT. Wenn ich irgendwelche Informationen brauche, ist ChatGPT wirklich sehr hilfreich. Ich stelle nur eine kurze Frage, und erhalte sofort eine Antwort.
Also kein schicker Roboter, der Ihnen die Zeitung holt oder den Kaffee bringt?
Nein, das mache ich immer noch gerne selbst (lacht). Aber irgendwann werde ich solche Hilfe vielleicht brauchen.
Prof. Dr. Ulrich Walter
Prof. Dr. Ulrich Walter (1954) ist Inhaber des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München und forscht auf dem Gebiet der Weltraumrobotik und der robotischen Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben im Alter. Er studierte Physik an der Universität Köln und promovierte dort im Jahr 1985. 1986 bewarb er sich auf eine Stellenausschreibung als Wissenschaftsastronaut. 1993 war er an Bord der D2-Mission für zehn Tage im Weltall und führte dort verschiedene Robotik-Experimente durch. Ulrich Walter ist Mitglied des Bayerischen Ethikrates und berät die Bayerische Staatsregierung in Fragen der Technik und KI.
Das Gespräch mit Prof. Dr. Ulrich Walter fand im Rahmen seines Referats beim Schweizerischen Institut für Auslandforschung (SIAF) statt.