Noch nie wurden so viel Vermögen an die nächste Generation vererbt wie heute, weshalb auch von der «Generation E» die Rede ist. Eine davon ist Valerie Rockefeller, die Ur-Ur-Enkelin des ersten Milliardärs der Weltgeschichte John D. Rockefeller. Die moderne Philanthropin steht dem «Rockefeller Brothers Fund» vor, einer 1,3-Milliarden-Dollar-Stiftung, die Aufmerksamkeit erregt hat, weil sie sich losgesagt hat von dem, was die Dynastie vor 150 Jahren begründete: Öl.

Valerie Rockefeller…

1. …über ihre Kindheit als berühmte Erbin
Ich wuchs im südlichen Teil von West Virginia auf, in einer sehr armen Kohlenbauregion. Eine Rockefeller zu sein, war hier nicht besonders populär. Meine Geschwister und ich gingen in die öffentliche Schule, wo wir manchmal gehänselt wurden und deshalb Angst hatten, wie verwöhnte, reiche Kids zu wirken. Erst in meinen Zwanzigern realisierte ich, dass auch positive Dinge mit meinem Namen verbunden waren. Ich arbeitete als Lehrerin in Harlem, wo mir eine schwarze Arbeitskollegin erzählte, dass ihre Ausbildung durch ein Rockefeller-Stipendium finanziert worden war. So hörte ich erstmals vom «Rockefeller Brothers Fund» und ich begann, mich philanthropisch zu engagieren.

2. ...über die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen
Da mein Vater zuerst Lokalpolitiker und später demokratischer Senator war, stand unsere Familie stets in der Öffentlichkeit und wir hatten uns als Kinder sehr zu benehmen. Natürlich ist es ein enormes Privileg, mit viel Geld geboren zu werden, doch es bringt auch eine grosse moralische Verpflichtung mit sich, Dankbarkeit zu zeigen und der Gesellschaft etwas zurückzugeben. «Wem viel gegeben wird, von dem wird auch viel erwartet» ist so etwas wie unser Familiencredo; der Spruch stammt aus der Bibel und war ein Lieblingssatz meines Urgrossvaters John D. Rockefeller Jr.. Trotzdem empfand ich mich durch meine Verwandten nie kontrolliert oder fremdbestimmt, niemand hat mir jemals gesagt, wie ich etwas zurückgeben soll. Ich wurde von meiner Familie stets dazu ermutigt, mein eigenes Ding durchzuziehen.

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Ich wuchs im südlichen Teil von West Virginia auf, in einer sehr armen Kohlenbauregion. Eine Rockefeller zu sein, war hier nicht besonders populär.

3. …über die Frage, wie man Gutes tut
Die Erbengemeinschaft des «Rockefeller Brothers Fund» wurde 1940 gegründet. Das Stiftungsvermögen beläuft sich auf 1,3 Milliarden US-Dollar und über 5 Prozent davon fliessen jährlich in Spenden. Wie so viele Erben unserer Generation unterstützen auch wir einen modernen Ansatz von Philanthropie. Statt bloss einen Scheck auszustellen, zielen wir darauf ab, möglichst viel Wirkung und tatsächlich messbare Ergebnisse zu erzielen. Zudem sind wir im Stande, sehr schnell auf Notsituationen – wie die aktuelle Corona-Krise – zu reagieren, und wir achten darauf, unser Kapital im Einklang mit den Zielen unserer Programme in nachhaltige Entwicklung, Friedens- und Demokratieförderung zu investieren. Es ist sinnlos, einerseits als Aktionär in fossile Brennstoffe zu investieren und andererseits mittels Spenden ein NGO in seinem Kampf gegen den Bau von Kohlekraftwerken im Kosovo zu unterstützen.

4. …über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen
Das Rockefeller-Vermögen gründet im Ölgeschäft und deshalb war es uns auch eine moralische Verpflichtung, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. 2010 beschloss der Vorstand des «Rockefeller Brothers Fund», der zur Hälfte aus der Familie und zur Hälfte aus externen Experten besteht, nachhaltig zu investieren. Und 2014 schlossen wir uns der globalen Divestment-Bewegung an, die nur noch in ökologische und nachhaltige Unternehmen investiert und mittlerweile 17 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen repräsentiert. Heute ist das Anlageportfolio unseres Fonds zu 99 Prozent frei von fossilen Brennstoffen. Auf diese Weise konnten wir dazu beitragen, die Diskussion über die Verantwortung von Anlegern voranzutreiben.

5. …über das wirtschaftliche Potenzial von nachhaltigen Investitionen
Mit dem Ausstieg aus den nichterneuerbaren Energien wollten wir zeigen, dass sich Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich lohnt. Wir sind überzeugt, dass fossile Brennstoffe als Energiequelle keine Zukunft hat, diese Firmen haben bereits in den letzten zehn Jahren an Wert eingebüsst. Stattdessen haben wir primär in saubere Energie, so etwa in nachhaltiges Wohnen, investiert. Damit erzielten wir in den letzten sechs Jahren eine durchschnittliche Performance von 7,8 Prozent gegenüber unserer Benchmark von 6,7 Prozent. Ich hoffe, das spornt andere institutionelle und private Anleger dazu an, den gleichen Schritt zu machen.

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Für Erben existiert auch eine grosse moralische Verpflichtung, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Trotzdem empfand ich mich nie von meiner Familie fremdbestimmt.

6. …über die Förderung der Selbstbestimmung durch Philanthropie
Im Zentrum unserer Spenden steht die Hilfe zur Selbsthilfe. Unser Ziel ist es, die Selbstbestimmung der Menschen zu fördern. Deshalb unterstützen wir lokale Organisationen, etwa im Nahen Osten, in Afghanistan oder im Iran, die sich für Demokratie, für die Rechte der Frauen und die Menschenrechte – also für die notwendigen Bedingungen einer gerechten Gesellschaft – einsetzen. Wir sind überzeugt: Gibt man den Menschen die Möglichkeit, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, dann werden sie ihre Probleme selber lösen.

7. …über soziale Ungleichheit
Ich muss zugeben, mich plagen Schuldgefühle angesichts des enormen Wohlstandsgefälles vor allem in den USA, aber auch auf der ganzen Welt. Ich glaube, dass jene von uns, die das Glück haben, reich zu sein, die Pflicht haben, die soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Wir müssen in unseren Organisationen und bei der Auswahl unserer Partner alles tun, was wir können, um Gerechtigkeit zu fördern. Der «Rockefeller Brothers Fund» hat vor einigen Jahren einen tiefgreifenden "Diversity, Equity and Inclusion"-Prozess unternommen, zu dem wir uns auch öffentlich bekennen. Zudem investieren wir auch bevorzugt in Fonds und spenden an Organisationen, die von Frauen und unterrepräsentierten Minderheiten geführt werden.

8. …über die Bedeutung, als Erbe sein eigenes Geld zu verdienen
Darüber diskutiere ich oft mit meinem Mann. Ich bin nicht sicher, ob das zwingend nötig ist. Ich will ehrlich sein: Ich habe selber lange als Lehrerin gearbeitet, aber meinen Lebensstandard nie vollständig mit selbstverdientem Geld bestritten. Heute widme ich meine Zeit fast ausschliesslich karitativen Engagements und verdiene praktisch nichts. Vielleicht ist es falsch, von dem Geld zu leben, das mir meine Vorfahren vererbt haben. Was ich aber auf jeden Fall weiss: Es ist wichtig, eine gute Ausbildung zu haben und Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln, sowohl bezahlt als auch ehrenamtlich.

Im Zentrum unserer Spenden steht die Hilfe zur Selbsthilfe. Unser Ziel ist es, die Selbstbestimmung der Menschen zu fördern.

9. … über den richtigen Zeitpunkt, mit den Kindern über das Erbe zu sprechen
In der Rockefeller-Familie ist das Geld in Trusts angelegt und traditionell haben die Erben in jungen Jahren noch keinen Zugriff darauf. Aber ich denke, es ist falsch, das Thema zu tabuisieren, wie es oft geschieht und auch meine Eltern es taten. Geld bedeutet Einfluss und Wahlmöglichkeiten und deshalb sprechen wir mit unseren drei Teenager-Kindern oft darüber. Uns ist es wichtig, dass sie sich über die Auswirkungen ihrer finanziellen Entscheidungen bewusst sind, und darüber nachdenken, wie sie ihr Geld verantwortungsvoll einsetzen können.

10. … über ihren wichtigsten Rat an Erbengemeinschaften
Seid transparent! Diskutiert unter Erben offen und ehrlich eure Ziele. Und setzt hohe Erwartungen in die Familienmitglieder, legt die gleichen Massstäbe an sie wie an alle anderen. Bei uns muss sich jeder das Recht erarbeiten, im Vorstand des Funds zu sitzen – das finde ich richtig. Man muss mindestens so fähig sein wie die Profis. Und alle sollten sich bewusst sein: Das Geld gehört den zukünftigen Generationen und es dient dazu, die Welt besser zu machen.

Cover image: Luxwerk

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Valerie Rockefeller

Valerie Rockefeller (50) ist die Ur-Ur-Enkelin des legendären Öl-Tycoons John D. Rockefeller und Stiftungsratsvorsitzende des «Rockefeller Brothers Fund». Das Stiftungsvermögen beläuft sich auf 1,3 Milliarden US-Dollar und die Stiftung hat sich seit 2010 dem nachhaltigen Investieren und dem Ausstieg aus nichterneuerbaren Energien verschrieben. Valerie Rockefellers Familie gehört zu den berühmtesten amerikanischen Unternehmerdynastien: John D. Rockefeller Sr, gründete Standard Oil, die damals grösste Erdölraffinerie-Firma der Welt, und gilt bis heute als reichster Amerikaner aller Zeiten. Seine Nachkommen bauten unter anderem das Rockefeller Center in New York, gründeten die University of Chicago, schenkten der US-Regierung Nationalparks, spendeten Land für die Vereinten Nationen und initiierten das Museum of Modern Art. Valerie Rockefeller hat lange als Lehrerin für lernbehinderte Jugendliche gearbeitet und lebt mit ihren drei Kindern in Old Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut.

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